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Die Religion der
Prußen von O. Barran
 
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Opfer und Gedenken  
   
   
   
   
   

Die Religion der Prußen

(Quelle: Ortrun Barran aus Schwirgstein)

Der Kampf um das prussische Gebiet wurde unter dem Vorwand geführt, die Prußen seien finstere Heiden und müssten mit Gewalt zum wahren Menschentum bekehrt werden. So wurden die Prußen, unsere Vorfahren, ab dem dreizehnten Jahrhundert durch den Deutschen Ritterorden zwangschristianisiert. Ein Volk von etwa 200 000 Ackerbauern, Fischern und Jägern, das kaum andere Wehrmöglichkeiten als Holzkeulen kannte, wurde von kriegserfahrenen in eisernen Rüstungen mit modernsten Eisenwaffen ausgerüsteten, jeweils etwa 20 000 Mann starken Einheiten, an denen sich, da auch der Papst zum Kreuzzug gegen die Prußen aufgerufen hatte, Kämpfer aus dem gesamten Europa mit ihren abenteuerlustigen Mannschaften beteiligten, überfallen. Eroberer, die unter dem Mantel mit dem weißen Kreuz das eiserne Kettenhemd trugen. Der Kampf der christlichen Ordensritter gegen das kleine Bauernvolk, an dem der gesamte europäische Adel teilnahm, ist ein blutiges Kapitel, wie es auch aus den Kolonisierungskämpfen in Süd- und Nordamerika bekannt ist. Zu den Methoden nur zwei von mancherlei Stimmen: Der Litauerfürst Gedimin, der von 1316 bis 1341 regierte, hielt dem päpstlichen Gesandten vor: „Die Christen lassen Gott in ihrer Weise verehren, die Russen nach ihrem Brauch, die Polen nach dem Ihrigen. Alle aber haben einen Gott. Was redet Ihr mir von Christen? Wo findet man mehr Frevel, mehr Unrecht, Gewalttat, Verderben und Wucher als bei den Christen und namentlich bei solchen, die Geistliche zu sein scheinen, wie die Kreuzträger des Ritterordens“. Und Peter Suchenwirth, der später zum Ritter geschlagen wurde, schrieb als Hofdiener und Protokollant des Ordens von einer solchen „Reise“ mit einem Heer von 30 000 Mann in das Memelgebiet (man nannte damals einen  Kriegszug „Reise“): „Da die Litauer kein verfügbares Heer hatten, so taten die Krieger den Weibern und Kindern Herzeleid im Kampfe für Gott, Ehre und Ritterschaft. Die überfallenen Bauern wehrten sich, so gut sie konnten, da verteilte sich die Truppenmasse „gleich einem Siebengestirn“ über das unglückliche Land. Hoch flogen die Banner, die Helmbüsche wehten im Wind, die edelsteingesprenkelten Rüstungen spielten in der Sonne Glast, es galt ja, in einen festlichen Tanz mit den Heiden zu treten. Ungebeten kam man zur Hochzeit, aufloderten die Dörfer, die Lohe machte den Himmel erglühen; da war es schlecht, Bräutigam zu sein. Gott gab dem Heer die Saelde dass die Heiden die Ankunft nicht merkten. Wie schlug und stach man da, „Heid  ein, Busch ein“ unverzagt, recht als man Füchs und Hasen jagt. Was ihnen weh tat, tat uns wohl, wir hatten unsere Lust an Volk und Gut, das waren herrliche Tage.“

Dreiundfünfzig Jahre verteidigte das kleine Volk, das keine Truppen besaß und aus Bauern, Hirten und Fischern bestand seine Kultur und seine Religion gegen den Orden mit all seinen gerüsteten Mannschaften und seinen Methoden. Dann musste es aufgeben.

Welches war die Religion unserer Vorfahren, die sie so tapfer verteidigt hatten? Welches war das Wesen der Religion, die das Leben der Prußen prägte? Waren sie absonderliche Einzelgänger mit skurrilen Vorstellungen ohne Bezug zu den geistigen Inhalten anderer Religionen oder können wir Heutigen sie verstehen, doch noch einen Zugang zu ihrer Vorstellungswelt finden?

Vermutlich ging den uns bekannten Religionsformen eine Sonnenreligion voraus, denn Hieronymus von Prag erzählt (um 1365 – 1415) dass sich noch diese Sage erhalten habe: Einst hatte ein mächtiger König die Sonne gefangen und in eine uneinnehmbare Festung eingesperrt, sodass es mehrere Monate dunkel blieb. Die Sternbilder aber halfen der Sonne. Sie zerschlugen den Turm, in dem sie eingesperrt war, mit einem großen Eisenhammer und befreiten sie. Da konnte sie den Menschen wieder leuchten. Und Hieronymus erwähnt, dass die Litauer der Sonne dienten und einen großen Eisenhammer verehrten.

Wir wollen diese Geschichte aus einer fernen Sagenzeit nicht auseinandernehmen, dazu ist hier nicht der Ort, aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass zu den archäologischen Funden vielfach kleine Scheibenfibeln mit Sonnensymbolen gehörten, Grabbeigaben, die etwas über die spirituelle Bedeutung aussagen. Wir denken hierbei auch an die Sonnenverehrung im vorchristlichen, alten Ägypten unter Echnaton und auch daran, dass heute noch in manchen Ländern z. B. Südamerikas, die Sonne verehrt und an wichtigen Daten z. B. dem Äquinoktium, am 21. März, an wichtigen Plätzen Rituale zum Sonnenaufgang abgehalten werden, an denen immer mehr, besonders viele junge Menschen teilnehmen und sie mit ihren Zeremonien begrüßen. Die alten Religionen sind nicht tot.

Die erste schriftliche Nachricht über die Religion der Prußen haben wir von Pytheas, dem Griechen, der sich um 300 vor Christus aufmachte, um das Bernsteinland zu suchen. Er nannte dieses Volk die Ästier, also die Ostler, die im Osten Wohnenden, und erzählte, sie verehrten die Mutter der Götter und trügen ein Sauamulett um den Hals. Die früheste Religion nach der Sonnenreligion war also die Religion der Großen Mutter, die wir vielfach aus der frühen Zeit auch anderer Völker kennen. Die Muttersau ist ihr Symbol. Die Religion der Großen Göttlichen Mutter ist uns nicht nur in Symbolen auf den Artefakten von archäologischen Grabungen bekannt, die auch eng mit dem Namen der litauischen Völkerkundlerin und Archäologin Maria Gimbutas verbunden sind. Die Große Mutter lebt bis zum heutigen Tage in Märchen, Mythen im Bewusstsein des Volkes weiter, wir kennen sie als Frau Holle, Perchta, Gode...Sie hat vielerlei Gesichter und Gestalt und wurde und wird an vielen Plätzen und Stätten immer noch verehrt, obwohl die christliche Religion sie schließlich als Mutter Maria übernahm. 

Mit der Zuwanderung der Indogermanen, heute heißt es ja „Indoeuropäer“, kam das Patriarchat, und mit ihm kamen die männlichen Götter ins Land. Wenn die Prußen selbst auch keine schriftlichen Zeugnisse hinterlasen haben, so gibt es doch Berichte aus anderen Quellen. Es gab britannische Missionare wie zum Beispiel Andreas, Taddäus, Suidberg, Ansgar, die durch das Land reisten und junge Missionare auszubilden suchten, aber es gibt wenige Einzelheiten dazu. Wir finden Nachrichten über die Existenz der baltischen Völker bei Tacitus, bei dem angelsächsischen Seefahrer Wulfstan, dem jüdisch-arabischen Handelsmann Ibrahim Ibn Ben Jakub aus Spanien (965). Nach der Eroberung des Landes durch den Ritterorden gab es eine Reihe von Chroniken, die sich mit den Prußen, ihrer Lebensweise, ihrer Religion beschäftigten, so im 13. Jh. den Bericht des Peter von Dusburg, und den von Adam von Bremen. Es gab eine livländische Reimchronik, deren Verfasser unbekannt ist, und die Malalas-Chronik von 1271, ebenso den hussittischen Missionar Hieronymus von Prag (um 1365 – 1416), französische Gesandte am litauischen Hof, die den Verbrennungszeremonien nach dem Ableben der litauischen Fürsten Olgierd und Keijstut beiwohnten und darüber berichteten. Es gab den bekannten Theologen und Kosmografen Sebastian Münster (1489 – 1552) den schwedischen Kartografen Olaus Magnus (1490 – 1558), auch Simon Grunau (1547), Maletius (1561) sowie bischöfliche Dokumente wie die Agenda der Bischöfe von 1530, die Jesuitenberichte aus Wilna vom Beginn des 17. Jh. und manche Schriften mehr. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Chronisten aus einer anderen Kultur kommend aus Unverständnis und vielfach aus der Perspektive der Sieger schrieben. Und wie Sieger das besiegte Volk beschreiben, das wissen wir aus eigener Erfahrung. Außer all diesen Berichten gibt es auch die Mythen, die die Erinnerungen bildhaft zum Ausdruck bringen, die Überlieferungen in Volksbräuchen, Volksgesängen, Erzählungen, und es gibt - sehr wichtig - die archäologischen Grabungen, die uns auf ihre Weise von den Menschen jener Zeit erzählen.

Die Religion unserer Vorfahren, der Prußen, war eine Naturreligion. Das Wesentliche dieser Religion war die Ehrfurcht und der Respekt vor der Natur. Die Menschen hatten die Vorstellung, dass geheimnisvolle Kräfte in der Erde und in den Bäumen Fruchtbarkeit und durch Vermehrung und Dahinsterbenlassen ein angemessenes Gleichgewicht unter den Lebewesen bewirken.

Die Prußen waren ein Volk von Ackerbauern, Fischern und Jägern inmitten eines Landes von Wäldern, Seen, weitläufigen Küstengebieten, Flussniederungen, Mooren, eines Landes, dessen südlicher Teil von großen urwaldähnlichen Waldflächen bedeckt war, die man die Große Wildnis nannte. Sie waren auf den Ertrag der Jagd, des Fischfanges, der Ernte auf den Feldern angewiesen. Sie hatten dieses Land seit Jahrtausenden bewohnt, lebten in dieser Natur, sie lebten von dieser Natur und sie waren Teil von ihr.
Sie erlebten die Gegenstände der sie umgebenden Natur von Gestirnen bis zu Pflanzen und Tieren, ihre Veränderungen mit Tages- und Jahreszeiten, wechselnd in den Ausdrucksformen, und auch wirksam auf ihres, das menschliche Leben. Sie erlebten die Erscheinungen in der Natur als lebendigen Ausdruck einer Schöpferkraft, Ausdruck einer Göttlichkeit, und sie gaben diesen Erscheinungen Namen, unter denen sie das Göttliche im Sichtbaren und Unsichtbaren ansprechen, mit ihm umgehen, ihre Beziehung zu ihm gestalten, durch Bitten, durch Gaben oder sympathetische Handlungen vielleicht zu ihren Gunsten beeinflussen konnten. Entsprechend gehörte zu ihrem Umgang mit der Natur nicht nur die Nutznießung, sondern auch die Hege, die Bewahrung.    

Der Ordenschronist Peter von Dusburg (1326) schreibt demgemäß, die Prußen hätten keine Götter gehabt, sie verehrten jede Natur als Gott, nämlich die Sonne, den Mond, die Sterne, den Donner, Vögel, vierfüßige Tiere, bis zur Kröte. Das ist wichtig. Die Namen, die die Prußen den verschiedenen Erscheinungen gaben, bezeichneten nicht Götter im eigentlichen Sinne, auch wenn wir sie, vielleicht mangels eines treffenden Ausdrucks, als Götter bezeichnen. Sie waren nicht Personen, wie es durch die nachfolgenden Christen missverstanden wurde, Sie waren die Vielfalt der Erscheinungsweisen des Göttlichen, der Schöpfungskraft. Die Wissenschaft nennt solche Personifizierungen „Sondergötter“. Am ehesten scheinen die drei Hauptgötter bedingt durch die religionsgeschichtliche Entwicklung, einer vollen persönlichen Ausgestaltung nahe gewesen zu sein, die jedoch durch den Einbruch des Christentums unterbrochen worden war.                  

Die Prußen glaubten an ein Weiterleben nach dem Tode, auch an eine Wiederkehr, und es heißt, dass es ursprünglich nur einen Gott gegeben habe, der als selbstständige Persönlichkeit verstanden wurde, Perkunos, ursprünglich Gott des Donners, der dem Himmel vorstand. Er wurde von allen baltischen Völkern verehrt und wird als mit rotem Gesicht beschrieben. Das als Zornesröte zu beschreiben ist falsch, denn die Prußen wurden in alten Schriften allgemein als rotgesichtig beschrieben, womit die Hellhäutigkeit gemeint war. Sie hatten eine helle Haut, deren rosige Durchblutung sich von dunkleren Hauttypen in südlicheren Gegenden deutlich abhob. Seinen Namen leitet man ab von dem germanischen Wort „querkus = Eiche“, a. a. O. „pertus = Eiche“, das aber auch „Kraft, Leben“ bedeutet. In heiligen Hainen wurden ihm ewige Feuer unterhalten. Er bestimmte das Wetter, spendete Sonnenschein und Regen. Ein altes Opfer an Perkun zur Regenbeschwörung wird noch um 1611 beschrieben. Er war auch Beschützer der Ehe und Verfechter des Rechts. Er löste den Donner aus (Perkunas griauja = Perkun donnert), warf Blitze, den Bösen setzte er durch seine Blitze die Häuser in Brand. Schleuderte er seine Axt, so kam sie von ihrem Ziel von selbst zurück. Perkunas entspricht dem hammerschwingenden Donnergott Donar/Thor oder etwa dem Göttervater der Griechen Zeus. Man opferte ihm Getreide, Früchte und Speisen in einem heiligen Feuer aus Eichenholz.Von der Verehrung Perkuns zeugten noch die Dorfnamen Perkuiken d.i, Perkunsdorf, Perkunischken, Perkunlauken, Perkunowen bei Lötzen.

Später wird auch Patull, Patoll, genannt, der ältere Mann mit grauem Bart und bleichem, weißen Gesicht. Er wird als Gott der Nacht und des Todes angesehen. Damit ist er aber auch der Gott der Transformation von Tod und Leben, denn die Prußen glaubten an eine Wiedergeburt. Es ist möglich, dass er die Position der Hel übernommen hat, die auch eine der vielen Gesichter der Großen Mutter war. Als Göttin der Unterwelt nimmt sie die Toten in ihrer unteren Welt auf, wo sie für ein neues Leben und eine neue Geburt vorbereitet werden, bis sie, die Große Mutter, sie aus ihrem Erdschoß in ein neues Leben gebiert, und sie wieder in ihrem Schoß aufnimmt, wenn die Menschen das Leben vollendet haben.
Patoll trägt auf der Abbildung eine Binde um das Haupt. Brachte man Patoll Opfergaben, so ritzte der Waydelotte, der Priester, dem Opfernden den Arm und ließ etwas von seinem Blut Patoll zu Ehren abtropfen. Dazu brachte man ihm den Schädel eines Rindes, eines Pferdes oder auch eines Menschen (ein memento mori?). An Patoll erinnern die Ortsnamen Patollen, Potollen bei Domnau, (Potollen hieß zuletzt Gr. Waldeck). Es gab auch noch ein Podollen bei Wehlau.

Der Dritte der Göttertrias ist Potrimpos (auch als Natrimp überliefert), ein blühender Jüngling mit einem Ährenkranz auf dem Haupt, der immer fröhlich lachende Gott der Fruchtbarkeit, des Gewinnes, des Glücks, der auch im Spiel und im Streit Glück bringen sollte. Ein Chronist bezeichnet ihn auch als Gott der Brunnen und des fließenden Wassers. Er soll mit einer Schlange in der Hand abgebildet worden sein. Für ihn verehrte und hielt man eine Schlange in einem Topf, den man mit Ähren und Getreide bedeckte. An besonderen Tagen oder wenn man wichtige Fragen an die Gottheiten hatte, wurde im Hause ein Tisch festlich mit einem weißen Leinentuch und ausgewählten Speisen gedeckt. Der Topf mit der Schlange wurde daraufgestellt und die Abdeckung entfernt, sodass die Schlange herauskommen konnte. Dann wurde sorgfältig beobachtet, wie sie sich auf dem Tisch bewegte, welche Speisen sie annahm oder verweigerte; daraus konnte man die Antwort der Gottheit auf seine Fragen oder Wünsche erschließen. Manche Ostpreußen werden noch von Hause her wissen, dass Schlangen in den ostpreußischen Häusern als Glücksbringer angesehen und gefüttert wurden. Sie gelten in der Mythologie allgemein als Sinnbild der Weisheit, daher stellte man ihnen wichtige Fragen.
Potrimpos hießen noch bis zuletzt verschiedene Berge.

So waren alle drei Lebensphasen in der obersten Göttertrias vertreten.

Neben diesen Hauptgottheiten gab es noch eine Reihe anderer.
Eine sehr wichtige Gottheit war, der Erntegott, der im Brauchtum eine wichtige Rolle spielte. Kurche (Curcho) war Nahrungsspender, Gott der Speise und des Tranks, Gott des Getreides und des Getreidesegens, Bewacher des Wachstums, aber auch Gott des Krieges. Man opferte ihm Korn und Weizen, Mehl, Milch und Honig und andere Lebensmittel. Fischer opferten ihm Fische aus ihrem Fang. Frauen beteten ihn in hohlen Eichen an, damit er ihren Männern Kraft gäbe und sie schwanger mache.

Sein Name ist noch in Kurken, Kreis. Osterode, Kurkau im Soldauer Gebiet, und in Kurkenfeld und Kurkowken im Kreise Gerdauen aber auch in Korschen erhalten geblieben.
Am Himmel herrschte Saulele, die Sonne, sie wurde von Menuo, dem Mond abgelöst, der mit den Gestirnen, den Sonnentöchtern, die Nacht erhellte. Auszerine war der Morgenstern, Vakarine der Abendstern. Antrimpos war der Gott des Meeres und der großen See, ein Wellengott wie Neptun, ein Gott der Feuchtigkeit. Er ließ das Meer brausen und es um die Inseln fließen, während Bangputtys der Wellenbläser war, der Gott des Sturmes, des Wassers. Er fliegt über das Meer und bläst die Wellen hoch. Besondere Verehrung genoss Laima, die Glücksgöttin, Göttin des Himmels, der Schöpfung und der Geburt. Sie wird bei Entbindungen angerufen und erhält bei Tauffeiern Geschenke. Pergubrius ist der Gott des Frühlings und der Feldarbeit; er lässt im Frühjahr Gras und Laub wachsen. Auf ihn werde ich noch zu sprechen kommen. Isczwambraitis ist der Gott der Hühner, Gänse, Enten, Tauben und Vögel und Eratinnis der Gott der Lämmer. Da war Swaigstix, der Gott des Himmelslichtes, Seminele die Erdgöttin und Zemipatis  die entsprechende männliche Gottheit, jedoch als die belebende Kraft des einzelnen Grundstücks gedacht. Man drückte Brot an die Erde und bat:
„Hilf, dass wir durch deinen Segen unsere Äcker betreiben und durch Zeminele mehr deines Gutes empfangen“
Es gab den „Pflüger“, den Gott des Pfluges, den „Säer“, den Gott der Saaten, den „Mäher“, den Gott der guten Maht, den „Brüller“, der das Rind beschützt, Medeine die Hasengöttin, und es gab dort im Volksglauben auch die „kleinen Leute“, Markopeten hießen sie und ähnelten unseren Wichtelmännchen. Die Kauckes, oder Kaukai, waren kleine Männlein in menschlicher Gestalt von der Größe eines Fingers mit Flecken auf dem Haupt. Sie zeigen ihre Anwesenheit dadurch an, dass sie Flur und Treppe des Speichers mit Getreidekörnern bestreuten. Es waren Glückbringer, die das Korn in der Scheuer mehren. Unter dem Holunder wohnen, die Barstucken (auch Perstucken)  die kleinen Helfer von Puschkaytes, dem Herrn des Waldes. Auch sie sind fingergroß; die Männer tragen meistens rote Mützchen, die Frauen weiße Schleier. Aber nicht nur in konkreten, nützlichen Dingen sah man den Ausdruck der Schöpfung, sondern auch darüber hinaus gehend in ethischen Werten, so ist das Recht personifiziert in der Gottheit des „Gleichmachers“, die Eintracht in der Gottheit des „Verbinders“, also göttlichen Wesen, die für moralische Werte standen.

Nach Einführung des Christentums lernten die Prußen die Hölle kennen  indem aus dem polnischen Wort pielko das Wort Pikoll dafür gebildet wurde. Tausende von Jahren waren die Prußen ohne Hölle ausgekommen, Aus Patull, dem Gott des Todes und damit entsprechend des Glaubens an eine Wiedergeburt auch der Transformation, wurde Pikoll, der Gott der Unterwelt, die für die Hölle stand, wie eine solche Umkehrung des Göttlichen ins Negative durch die christlichen Eroberer sich durch die ganze Bekehrungsgeschichte zieht. Und da Patull im baltisch-litauischen Bereich lange Zeit als der höchste Gott galt, musste er nach Einführung des Christentums der Böse, der Satan schlechthin sein.
Erwähnen sollte ich vielleicht noch Occopirnus als Bezeichnung für den Allerersten, den neuen Herrn, dem die Christen so große Verehrung zollten.

Bäume waren besondere Heiligtümer, Linden zum Beispiel, besonders Eichen. Sie wurden als Sitz der Gottheiten verehrt. So lebte im Holunder Puschkaytes, der Gott des Waldes und hatte die Erdmännchen, die Barstucken als kleine Helfer. Noch heute, sogar in Hessen, wo ich wohne, wurde mir erzählt, dass der Holunder nicht gefällt werden darf, weil er heilig ist. Ich weiß allerdings nicht, wo dieser kluge Gärtner herstammte. Ich kannte auch eine Ostpreußin, Zahnärztin und Pfarrersfrau, die noch hier nach der Flucht den Erdmännlein und -weiblein zu besonderen Festen, etwa Weihnachten oder Neujahr wie zu Hause in Ostpreußen ein Tellerchen mit Milch und kleinen Leckereien vor die Haustür stellte. Ihr Mann, ein evangelischer Pfarrer, hat nach ihrem Tode diese Sitte weitergepflegt. Das sollten Sie, wenn Sie einen Garten oder eine Terrasse haben, auch machen.

Die Priester und Priesterinnen der Prußen hießen Waidelotten und Waidelottinnen. Sie wohnten in heiligen Hainen. Hier fanden die Zeremonien statt. Hatte ein Baum einen besonderen Wuchs, besonders, wenn er sich geteilt hatte und weiter oben wieder zusammengewachsen war, so konnte er Krankheiten heilen, wenn man den Kranken, begleitet von Gebeten und Zeremonien der Priester, durch eine solche Baumöffnung hob.

Kultische Feste für die hohen Götter fanden unter freiem Himmel, auf Bergen – bekannt ist der Galtgarben – an heiligen Steinen und unter heiligen Eichen und Linden, in heiligen Hainen, statt.
Der wichtigste heilige Hain war Romowe oder Ramuwa. Grunau nennt ihn Rikkoyot. Den Ort kann man heute nicht mehr genau lokalisieren, er lag vermutlich im Samland in der Gegend von Lochstedt. Wahrscheinlich haben aber auch die Orte Romehnen, Romsdorf i. Kreis Bartenstein, Romau bei Tapiau damit zu tun oder der Rombinus, der heilige Berg an der Memel.
Das größte Heiligtum in Romowe war ein großer Eichenbaum. Dort sollte nach alter Überlieferung ein Baum stehen, dessen Stamm sich dreifach geteilt hatte, und weiter oben wieder zusammengewachsen war. (Dort sollten Bilder der drei Hauptgötter gewesen sein, aber das Letztere ist umstritten und zu vermuten, dass sie, wenn es sie gegeben hat, in der späten Entwicklungsphase der Religion entstanden.) Das Laub dieses Eichbaums war so dicht, dass weder der Regen im Sommer, noch der Schnee im Winter es durchdringen konnten.
Hier, in Romowe, wurden weiße Pferde gehalten. Weiße Pferde durften nicht geritten werden. Ihr Verhalten diente der Weissagung und Erforschung des Willens der Götter. Das ist so seltsam nicht, auch heute können naturverbundene Bauern aus dem Verhalten mancher Tiere z. B. der Vögel oder der Frösche Wetter und Fruchtbarkeit vorhersagen.
In Romowe, dem heiligen Hain, wurde ein heiliges Feuer gehalten, das nie ausgehen durfte und wohl auch nicht so leicht ausging, denn es ist von sulfurischen Feuern im Samland die Rede, die es dort gegeben haben soll.
„Sulfurisch“ d. h. es ist schwefelhaltiges Gas aus dem Boden ausgeströmt. Solche Feuer müssen demzufolge zwar gewartet, aber nicht mit Holz gefüttert werden. Möglicherweise war dieses dort beschriebene Feuer ein solches sulphurisches Feuer. Damit war es Ausdruck geheimnisvoller Kräfte in der Tiefe der Erde, es galt als heilig und musste sorgfältig gehütet werden. Eine Vernachlässigung war eine Missachtung dieser Mächte, musste daher streng bestraft werden.
Die Prußen waren bzw. sind Westbalten. Zwischen ihnen und den anderen baltischen Völkern gab es zwar Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten. So sind die prußischen Götter teilweise mit den Litauischen identisch. Auch Romowe gehörte zu diesen Gemeinsamkeiten. (Manche Sprachwissenschaftler sind der Meinung, dass die Prußen kein „o“ als Laut hatten, so soll der Ort Ramuwa geheißen haben, dennoch hat sich die Sprechweise Romowe eingebürgert).
Romowe in der Pregelniederung war das Priesterzentrum. Hier hatte der Oberpriester, der Kriwe „Kriwaytis“ oder auch „Kirwayte“ seinen Sitz. Der Kriwe Kriwaytis wurde von unteren Priestern, den Waidelotten, gewählt. In beiden Worten ist das prußische Wort „waidia“ enthalten, das heißt „Erkenntnis, Wissenschaft“. Priester waren also Weise, Wissende. Das Ansehen und der Einfluss des Kriwe reichten bis in die Völker Litauens und Lettlands hinein. Sein Amt war im gesamten baltischen Bereich so angesehen, dass es mit der Stellung des Papstes im christlichen Bereich verglichen wurde. Priesterabordnungen aller baltischen Stämme sollen sich hier versammelt haben. Der Kriwe Kriwaytis sprach mit den Göttern, er erforschte ihren Willen. Und hatte er etwas der Bevölkerung mitzuteilen, gab er es an die Waydelotten weiter, die es der Bevölkerung vermittelten.
Als Zeichen seines Amtes trug der Kriwe Kriwaytis einen Stab, der oben spiralig gewunden war, die Kriwule. (Später hatte auch der Papst einen ähnlichen Stab, den Hirtenstab, als Zeichen seiner Würde.) Lud er zu einer allgemeinen Beratung oder Versammlung ein, so schickte er einen Boten herum, der diesen oder jedenfalls einen solchen Stab, eine Kriwule, mit sich als Zeichen dafür, dass er mit einer offiziellen Botschaft des Kriwen unterwegs war.  Zum Schluss musste die Kriwule wieder zum Kriwen zurückkommen.
Später als Lesen und Schreiben Allgemeingut waren, wurde auch ein Zettel mitgegeben oder angeheftet, und in noch späteren Zeiten wurde der Stab mit dem Zettel weitergegeben. Die Sitte, mit der Kriwule zu einer Versammlung der Gemeinde einzuladen, hielt sich lange, auch als Romowe längst versunken war. In einigen Gemeinden z. B. in Gilge am Kurischen Haff blieb diese Sitte bis zum Ende erhalten, während in vielen Gemeinden die Kriwule wegblieb und nur noch der Zettel als Laufzettel herumging. Das Wort blieb aber auch in der Art erhalten, dass in vielen Orten die Gemeindeversammlung Kriwule hieß. Und der Stab mit der spiraligen Windung oben ist jetzt das Kennzeichen der Tolkemita, der Vereinigung, die es unternommen hat, die Prußen zu sammeln und alles Wissen über sie und Erinnern an sie zusammenzutragen.
Besondere Priester waren auch die Tulissonen und Ligaschonen, die bei verschiedenen Ritualen eine Bedeutung hatten, so, wenn für den Frieden der Seelen gebetet wurde, und innerhalb des Dorfes gab es den Wurschkaiten, der zusammen mit der Dorfgemeinschaft örtliche Feiern durchführte. ^

Die Ehrfurcht vor der Natur bewirkte, dass der Mensch keinen Missbrauch mit der Natur treiben durfte. Bei den Prußen gab es deshalb heilige Felder, heilige Seen, heilige Berge, heilige Wälder, die nur von den Priestern und Priesterinnen, also den Waidelotten und Waidelottinnen, sonst von niemandem betreten werden durften. Sie gehörten den Göttern, sie mussten erhalten bleiben. Auf diese Weise schufen unsere Ahnen die ersten Naturparks. In den Wäldern durfte kein Ast von den Bäumen gebrochen werden, es sei denn, der Bauer brauchte Holz, um seine Hütte zu wärmen, oder etwa um seine Werkzeuge zu schneiden, aber er durfte es nicht aus Übermut oder Gewinnsucht.
Viele Ostpreußen werden wohl noch einen heiligen Berg, einen heiligen Wald, einen heiligen See kennen. Da ist zum Beispiel der Schwenty-See. „Swentas“ ist das prußische Wort für „heilig“. Auch der Ort Schwentainen hängt mit diesem Wort zusammen und war sicherlich einmal solch ein heiliger Ort. Andere Hügel wurden später fälschlicherweise zu "Schwedenschanze" verändert, weil die Bedeutung des prußischen Wortes „swenta" als „heilig" nicht mehr gewusst wurde.

Das Feuer im Haus genoss einen besonders hohen Kult und auch bei Hochzeiten wurde der Haushaltsgötter und des Herdfeuers besonders gedacht. Der Haustrunk, den der Pruße zu sich nahm, Met oder Pferdemilch musste gesegnet werden. Wir denken hierbei sicherlich auch daran, dass die Hausfrau in früheren Zeiten bei uns das Brot mit dem Schlagen des Kreuzes vor dem Anschnitt segnete. Auch das Spinnen für leinene und wollene Gewänder war ein Gottesdienst, ebenso das tägliche Bad. Heute wird in bestimmten Kreisen wieder empfohlen, bei der körperlichen Reinigung im Bade an die geistige Reinigung zu denken.

Zu den Festen der Prußen gehörten, Totenfeste, Jahresfeste und Familienfeste. So nahmen im baltischen Raum die Frauen nach der Niederkunft ein sakrales Mal ein, in dessen Mittelpunkt die Verehrung der Schicksalsgöttin Laima stand.

Bevor das Pflügen auf den Feldern begann, wurde die Frühlingseinsegnung begangen. Der Chronist Hartknoch gibt dafür den  22. März an, also das Äquinoctium. Die Frühlingseinsegnung war ein Fest für Pergubrius. Es hießOpfer für Pergubrius“ oder „Pergubri". Pergubrius war ein Gott der Feldarbeit („perguberu“ bedeutet `durcharbeiten wollen´). In allen Dörfern kamen sie in einem Haus zusammen. Dort waren Getränke bereitgestellt, später als sie durch die Ordensritter Bier kennengelernt hatten, waren es eine oder zwei Tonnen Bier. Der Priester füllte eine Schale mit Bier, hob sie hoch und rief Pergubrius an:

„Oh Herr, unser Gott Pergubrius
Du verjagest den Winter,
Du bringest die Lust des Frühlings wieder
Und gibst in allen Landen Laub und Gras.
Durch Dich grünen die Äcker und Gärten,
Durch Dich blühen die Länder und Gebüsche.
Wir bitten Dich,
Du wollest unser Getreide
Auch wachsen lassen
Und alles Unkraut dämpfen.“

Zu der Zeremonie gehörte, dass der Priester die Schale mit Bier zwischen die Zähne nahm und sie ohne Hilfe der Hände austrank; dann warf er sie  - wiederum ohne Hilfe der Hände - rückwärts über den Kopf. Danach taten die Teilnehmer es einer nach dem anderen ebenso.
Aber auch andere Götter wurden bei diesem Fest angesprochen, so Perkun, der das Wetter bestimmt, Schwayxtix, der das Licht scheinen lässt, Perwittos, der für die Ernte und die Einbringung in Scheunen wichtig ist.

Zur Sommersonnenwende sind in Ostpreußen viele Bräuche überliefert gewesen. Die Sonnwendfeuer sollten gegen Gewitter, Hagelschlag und Viehsterben helfen. Das Vieh sollte durch ein Tor gehen, über dem Kletten und Beifuß angebracht waren und andere Bräuche mehr, die sicherlich auf die Prußen zurückgehen.
Ein weiteres wichtiges Fest wurde zu Beginn der Ernte, etwa im August,  gefeiert. Wenn das auf dem Felde stehende Getreide gut geraten war, so heiligten und ehrten die Leute die Götter mit großer Danksagung und der Priester ermahnte sie, dass sie die Götter in Ehren halten und nicht erzürnen sollten.

„Wir haben nun gesehen,
Welch ein Sommer gewesen ist.
Sagt Dank und seid dankbar
Zu den Göttern,
Damit sie auch hinfort
In künftigen Jahren
Das Getreide auf den Feldern segnen
Und gleicher Gestalt
Uns eine reiche Ernte
Bescheren möchten.“

Ist es aber ein schlechtes Jahr gewesen und das Getreide nicht geraten, dann rief der Priester Auschweit an, ein Name, der wohl ursprünglich für Odin steht:

„Großmächtiger Gott Auschweit,
Bitte für uns
Den Pergrub, Perkunas,
Schwaixtix, Pelvit und andere Götter,
Damit sie in künftigen Jahren
Uns gnädig sein
Und das tägliche Brot geben möchten.“

Danach bekannten die Menschen, dass sie die Götter erzürnt hätten, und beichteten ihre Fehler. Anschließend legten sie alle zusammen zu einem Fest, das solange dauerte, wie Bier da war.

Etwa Ende Oktober wurde das Ende der Ernte begangen. Das entspricht etwa unserem Erntedankfest. Hier soll die Bocksheiligung stattgefunden haben, sie wurde aber auch bei besonderen Anlässen gesondert durchgeführt. Die Bocksheiligung war ein besonders wichtiger, oft erwähnter Opferbrauch.  Das Ende der Ernte wird auch als ein Fest zu Ehren von Kurche, dem Erntegott gefeiert, das der Bettelmönch Simon Grunau Anfang des 16. Jahrhunderts beschrieb. Dieses Opferfest wurde noch lange nach Einführung des Christentums begangen und war auch mit Drohungen, Anzeigen, Strafen nicht auszurotten. Der Amtmann von Tapiau berichtet 1571, dass damals bei den Fischern eine Krankheit ausgebrochen war, und da die Bevölkerung sich nicht zu helfen wusste, opferte die Gemeinschaft der Göttin Dideweyte, deren Erzürnung die Krankheit hervorgerufen haben sollte, einen schwarzen Bock. Die Obrigkeit hörte davon, setzte den Bauern, der die Zeremonie durchgeführt hatte, gefangen und übergab ihn dem Henker. Trotz allem soll die Bocksheiligung noch Mitte des 19. Jahrhunderts in der Memelniederung gefeiert worden sein.
Bei diesem Fest wurden ein Schafbock und ein Schaf oder ein Ziegenbock und eine Ziege, zuweilen auch ein Pferd zumeist aber ein Bock geopfert.  Ein Priester schlachtete unter bestimmten Riten einen Bock, indem er ihm die Hände auflegte und die Götter um Hilfe anrief. Das Blut des geschlachteten Tieres fing er in einer Schale auf und besprengte die Anwesenden damit. Einen Teil des Blutes gab er den Anwesenden mit, damit sie zu Hause das Vieh besprengen konnten. Nach diesem rituellen Akt wurde das Fleisch gekocht, gebraten und es folgte der Festschmaus. Er dauerte solange, wie die Getränke reichten, und endete mit allgemeiner Trunkenheit.

Im Herbst wurde für die Geister der Verstorbenen ein Gedenkfest gehalten, denn in den baltischen Ländern hat die Verehrung der Toten einen hohen Stellenwert gehabt. Wenn die Landarbeit beendet war, der Winterroggen gesät, wurde das bedeutendste der Feste gefeiert, „ilgi svente“ (igels = Sehnsucht) das Fest zu Ehren der Toten. (Lange), jährlich wurde im Herbst „den Toten der Tisch gedeckt“. Diesem Fest entspricht unser Totensonntag.

Unsere Ahnen wussten: Wenn der Mensch die Natur zerstört, zerstört er sich selbst. Wir müssen das alles erst durch Schaden erkennen und müssen mühsam lernen, dass wir die Natur nicht vergewaltigen dürfen. Wir können nicht nur nehmen, nehmen, nehmen, ausbeuten, sondern müssen auch geben. Und wenn unsere Ahnen eine Schale mit Früchten und Getreide von ihrer Ernte, der Jäger ein Stück seiner Jagdbeute, der Fischer etwas von seinem Fang zu einem Opferstein oder zum großen Findling im Hain, der dafür ausersehen war, brachten, so gewiss nicht, weil sie glaubten, die Götter würden jetzt Schmaus halten, sondern um ihnen zu zeigen und auch sich selbst bewusst zu machen: Wir haben gesät und mit unserem Schweiß geackert, und das Göttliche hat die Keimkraft der Saat, den Wind zum Bestäuben, den Regen zum Wachsen, die Sonne zur Ernte geschickt, das Wild in den Wäldern, die Fische in den Seen. Jeder hat seinen Teil an dem Wachsen und Heimholen der Ernte getan, jetzt sollte auch jeder seinen Teil an der Ernte haben, und so bringen sie wenigstens einen kleinen Teil symbolisch als Opfergabe zu dem dafür vorgesehenen Stein im Walde, um dem Göttlichen zu zeigen, dass sie sich wohl bewusst sind, nicht alleine die Könner zu sein, und deshalb auch ließen sie die letzte Garbe auf dem Felde für den Erntegott Curcho stehen als seinen Anteil. Eine Sitte, die sich lange gehalten hat, und die in Ostpreußen auf manchen Feldern noch bis zur Vertreibung gepflegt wurde und das, obwohl die Prußen im Vertrag 1248 versprechen mussten, dem „Tragbild“ (damals schmückten die Prußen die letzte Garbe noch besonders als Figur aus), das sie sich am Ende der Ernte von Curcho machten, nicht mehr zu opfern.

Vieles aus dem alten Glauben ist noch bis zum Ende in Sitte und Brauchtum erhalten geblieben, auch wenn kaum jemand mehr wusste, welches ihr Ursprung und ursprünglicher Sinn war. Aus der prußischen Religiosität hat sich die Kornmuhme erhalten, in den ostpreußischen Gewässern, Seen und Flüssen, hielt sich der Dobnik, ein uralter kleiner und grünbärtiger Wassergeist. Bei Feuersbrünsten rief man - wie übrigens auch in anderen Gegenden Deutschlands - den Feuerreiter, einen besonders dafür befähigten Mann, der durch dreimaliges Umreiten der Brandstätte auf einem Schimmel das Feuer „ausreiten“ sollte, und es so zum  Erliegen brachte. Und später wurden im katholischen Ermland wie im alten Prußenland Brautpaare mit Eichenstöcken geschlagen, vielleicht um böse Geister auszutreiben? Der Sinn ist nicht mehr deutlich.

Wir können hier auf Sitte und Brauchtum nicht ausführlich eingehen, obwohl viele Vergleiche möglich wären.
Ein Beispiel: Bei Gewitter fielen die alten Prußen auf die Knie und beteten: „Geh an uns vorüber Perkunos, geh vorüber! Geh vorüber!“ Dabei denken wir sicherlich daran, dass es noch bis zuletzt in Ostpreußen üblich war, dass die Familie bei nächtlichem Gewitter aus dem Bett aufstand, sich im Wohnzimmer versammelte, und die Großmutter, oder wer auch immer, Stellen aus der Bibel oder Gebete las.
Ein anderes Beispiel: Es war in Ostpreußen Sitte, beim Totenmahl ein Gedeck für den Verstorbenen aufzulegen. Diese Sitte geht auf die alten Prußen zurück. Sie setzten den Verstorbenen selbst mit an den Tisch, an dem das Mal zu seiner Abschiedsfeier aufgetragen wurde. Hier tranken Freunde und Familie ihm zu und sprachen ihn an: „Warum bist du gestorben? Du hast doch hier deine Familie, deine Freunde. Warum verlässt du uns? Du hast doch dein Haus hier, dein Auskommen …“  Eine schöne Sitte, vor der endgültigen Trennung noch einmal zum Ausdruck zu bringen, dass der Verstorbene nicht einfach begraben und weg, abgehakt ist, sondern auch als Verstorbener immer noch zur Familie, zur Gemeinschaft, gehört und auch weiter noch gehören wird. Der Totenschmaus war bei unseren Ahnen kein Gastmahl im üblichen Sinne, es war ein Opfer für den Toten. Eine andere Sitte war die der Grabbeigaben. Bis vor wenigen Jahren wurden dem Toten wichtige Gegenstände, die er mochte ins Grab mitgegeben, wie etwa seine Pfeife und sein Tabaksbeutel.

Unsere Ahnen waren sich bewusst, dass der Mensch nur mit der Natur leben kann, nicht gegen sie. Er ist wie jedes andere Wesen ein Stück der Schöpfung, in der jedes Geschaffene, Natur und Mensch wie in einem Netz miteinander verwoben ist und in dem alles voneinander abhängt. Nicht nur das Leben des Menschen ist zu schützen, auch das des Wurmes, des Baumes, des Rindes, des Huhnes. Das drückten unsere Ahnen dadurch aus, dass sie einen Gott, man sagte, vielleicht besser einen guten Geist, einen Hüter des Huhnes, einen der Rinder, einen der Seen, einen der Bäume und viele andere wie eine Gottheit verehrten. Die nachfolgenden Christen konnten nicht verstehen, dass unsere Vorfahren sogar die Kröten schützten. Was machen unsere Naturschützer heute? Sie kennen die Aktionen zur Rettung dieser Tiere. Kröten sind übrigens stilisiert seit alten Zeiten im Memelgebiet, besonders auf der Kurischen Nehrung, daher vielleicht besonders von den Kuren, als Namenträger der Verstorbenen, holzgeschnitzt anstelle des Kreuzes an das Kopfende der Gräber aufgestellt worden. Sie sind Symbol der Fortdauer des Lebens auch nach dem Tode, weil Kröten selbst nach extremen Bedingungen, in denen sie wie tot erscheinen, weiterleben, wenn die Bedingungen dafür sich wieder ändern, z. B. nach langen Trockenzeiten der Regen die notwendige Feuchtigkeit zum Weiterleben bietet.

Von den Prußen wird berichtet, dass sie sich nichts aus Gold und Silber machten, dass sie auch anderes, wie z. B. Marderfelle, für die die „schon zivilisierteren“ Leute nach eigener Darstellung „ihre Seele hergeben würden“, wie der Chronist schreibt, für nichts achteten, dass sie auch Schiffbrüchigen halfen, diese und deren Habe zu retten, wo es doch für sie einträglicher gewesen wäre, wie es anderwärts üblich war, Schiffbrüchige untergehen zu lassen, oder sogar durch falsche Feuer Schiffbrüche zu provozieren, um sich durch das angespülte Strandgut zu bereichern. Es wird auch berichtet, dass sie gastfreundschaftlich, was sie im Hause hatten, mit Gästen, sogar mit den fremden Missionaren teilten, und es wird berichtet, dass sie keinen Herrn über sich duldeten, machtlüsterne Herrschsüchtige hatten demnach keine Chance. Die heutigen, zeitbedingten für die Vielen geltenden Zielsetzungen Macht/Geld/Fun, die sie für Fortschritt halten, können wir nicht als Maßstab für eine Beurteilung der geistigen Grundlage einer alten, auch nicht anderer alter Kulturen nehmen. Wir müssen uns ohne diesen Ballast auf diese Kulturen einlassen, um dem Verständnis näher zu kommen. Das war mein Anliegen.

Und wenn, was überliefert ist, die Prußen sagten: „Vielleicht werden die Deutschen auch einmal so schlau wie wir“, so sollten wir das nicht unbedingt als Überheblichkeit belächeln. Ich denke, man kann sich ruhig einige Gedanken darüber machen.

Koda

Vielleicht können diese Beispiele deutlich machen, wie wichtig jedes kleinste Bisschen Erinnerung an altes Brauchtum ist, es sollte aufgeschrieben oder jemandem erzählt werden, der es aufschreibt. Es ist Zeugnis unserer alten Kultur und Religion, deren Tradition so alt ist, wie es wohl Menschen in diesen Gebieten gab, einer Tradition, die tausende von Jahren hindurch weiterentwickelt und weitergegeben werden konnte, da die Prußen ebenso lange in diesem Gebiet, ihrer Heimat, sesshaft waren. Wäre diese Kontinuität nicht zerschlagen worden, wäre sie eine Fundgrube für die ethnologische und viele andere Forschungsgebiete gewesen. Fast einmalig in Europa (außer den Basken). Die tausende von Jahren alte Religion und Kultur der Prußen, der Urbevölkerung Ostpreußens, lebten in vielerlei Bräuchen und Spracheigentümlichkeiten weiter, bis sie ab 1945 radikal zerstört wurden. Sie lebten weiter trotz der aufgepfropften Religion und der zusätzlichen Besiedlung durch Holländer, Franzosen, Österreicher, Russen und Deutsche aus den verschiedenen Teilen des Reiches. Die Westdeutschen haben keinerlei Kenntnisse und Interesse an einer Kultur, die direkt vor ihrer Haustüre zerstört wurde und interessieren sich eher für alte Kulturen in fernen Weltgegenden, Ägypten, Sumer, China, Mexiko; sie graben in Ägypten, der Türkei oder nach den Hinterlassenschaften des Dschingis Khan im fernen Asien. Nach den Spuren des alten Volkes, das siebenhundert Jahre zu Deutschland gehörte, forschen sie nicht. Das machen Russen aber und die den Prußen verwandten Litauer. Sie betreiben eifrig Studien der Religion, der Sprache, des Liedgutes, der Struktur dieses Volkes und machen hier Ausgrabungen. Auch die Letten sind um die Sammlung des prußischen Kulturgutes bemüht, sowie Wissenschaftler aus Italien und Ungarn oder Polen. Auch Künstler beschäftigen sich mit diesem alten Volk.
Die besondere Verbundenheit der Ostpreußen zu ihrer Heimat und zur Natur hat ihre Wurzeln in der alten Naturreligion mit ihrer Achtung vor allem Geschaffenen, die noch rund tausend Jahre länger als in anderen europäischen Ländern bewusst gepflegt wurde. Sie waren all die Zeit besonders eng mit dem Geschehen, Wachstum und Vergehen in ihrer Natur verbunden, sie waren Teil von ihr. Diese Bindung lebt in den Ausgetriebenen fort.

Noch bevor wir durch Öffnung der Grenzen Verbindung zu ihnen hatten und sich eine enge Zusammenarbeit mit östlichen Wissenschaftlern ergab, war es hier im deutschsprachigen Raum eine Frau, Dr. Rutele Kaufmann, geborene Tolkemit, die, selbst von Prußen abstammend, es unternahm, die Nachkommen der Prußen unter dem Namen „Tolkemita“ zu sammeln, um mit ihnen die spärlichen und sehr verstreuten Nachrichten über dieses Volk zu suchen und zusammenzustellen, damit wenigstens die Kenntnis davon, dass es war, was es für ein Volk war und schließlich, dass es, wenn auch durch die Brutalität der Vertreibung erheblich reduziert, in seinen Nachkommen, die in Deutschland und anderen Teilen der Welt verstreut sind, noch lebt.

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© prūsai
2 September, 2007

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