Klaus-Peter
Jurkat
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Neue
Beiträge zur Baltistik.
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ISBN 3-00-017135-5 |
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Klaus-Peter Jurkat |
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Außenhandelskaufmann
(AfW) |
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Geprüfter Betriebswirt (BWA) |
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Mitglied der Prußenarbeitsgemeinschaft |
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Tolkemita e.V., Berlin |
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Neue Beiträge zur Baltistik. |
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Copyright 2005
Klaus-Peter Jurkat
zur Veröffentlichung
bei prusai zur Verfügung gestellt
Printed in
Germany
Redaktionsschluß: 28.
Juli 2005
Vorwort
Das deutsche Volk hat
im Südosten und im Osten seines Siedlungsgebiets beim
Eintritt in die Geschichte die Neustämme der Mecklenburger,
Brandenburger, Thüringer und Sachsen (Obersachsen),
Pommern und Schlesier auf slawischer ethnischer Grundlage
und schließlich die Preußen (Ostpreußen) auf prußischer
ethnischer Grundlage vor allem gewonnen. Sie sind hervorgegangen
aus Ausgleichsprozessen ethnischer Art zwischen Angehörigen
der Altstämme, zwischen diesen und den Vorbewohnern
des Landes und anderen ethnischen Gruppen, die meist
in der Neuzeit hinzukamen. Die Neustämme, die in Mecklenburg,
Brandenburg, Schlesien, Pommern und Altpreußen
entstanden, heißen nach den Landschaften oder Vorbewohnern
im Lande, deren Name auf sie übertragen wurde. (Harder)
Harder vertritt die
Auffassung, dass die Bildung neuer
Stämme aus slawischer und
baltischer Grundbevölkerung und
nieder- und hochdeutschen Siedlern
konkret wenig erforscht sei.
Daher machte der Autor,
geboren 1932 in Treuburg/Ostpreußen, seit langem für
baltisch-prußische Fragen aufgeschlossen, den Versuch,
zu errechnen, wie viele Zuwanderer aus Litauen und Masowien
in Ostpreußen im Rahmen des Retablissements bis 1740
angesiedelt wurden und schrieb den Beitrag „Gedanken
und Fakten zur Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen“,
den er der Tolkemita e.V., Internationale Vereinigung
der Prußen und Prußenfreunde, zur Veröffentlichung zur
Verfügung stellte. Die Tolkemita publizierte den Beitrag
in TOLKEMITA-TEXTE, Nr. 62, im Mai 2002 in „Beiträge
zur Geschichte der Prußen“ neben Beiträgen von R. Grunenberg
„Entwicklung der prußischen Bevölkerung bis 1939“, V.
Roehrich „Die Besiedlung des Ermlandes mit besonderer
Berücksichtigung der Herkunft der Siedler“ und J. Trinkunas
„Prusa – Der Brennpunkt baltischer Kultur“.
Der Verfasser erhielt
vor kurzem die Seiten 387 und 395 aus
РОССИЙСКАЯ
АКАДЕМИЯ НАУК
ИНСТИТУТ
СЛАВЯНОВЕДЕНИЯ
БАЛТО-СЛАВЯНСКИЕ
ИССЛЕДОВАНИА
XVI
СБОРНИК
НАУЧНЫХ
ТРУДОВ
МОСКВА 2004
zugeschickt, aus denen
er entnehmen konnte, dass sein Beitrag im Band 16, Moskau
2004, auf Seite 395 des Jahrbuchs „Baltoslawische Forschungen“
erwähnt wurde, das das in der russischen Akademie der
Wissenschaften tätige Institut für slawische Forschungen
herausgibt. Herr Prof. Dr. Vladimir N. Toporov, der
Bearbeiter des großen Prußischen Wörterbuchs, schreibt
auf Seite 387 „Aus der neuen Literatur über die Baltistik“
und auf Seite 395 „Die folgenden „Tolkemita-Texte“ (Nr.
62) enthalten ebenfalls eine Reihe interessanter Beiträge
und Bemerkungen, die sowohl das Altertum als auch die
neuere Vergangenheit betreffen. So z.B. K.-P. Jurkat:
Gedanken und Fakten zur Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen;
V. Roehrich: Die Besiedlung des Ermlandes mit besonderer
Berücksichtigung der Herkunft der Siedler.“
In der Arbeit „Gedanken
und Fakten zur Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen“
wurde errechnet, dass die ostpreußische Bevölkerung
nach dem Retablissement in 1740 zu über 50% aus einer
baltischen Komponente bestand, zu der 20% Masowier hinzukamen,
so dass für die Deutschen, Böhmen, Holländer, Mennoniten,
Schotten, Hugenotten, Franzosen, französischen Schweizer
und Salzburger ein Gesamtwert von unter 30% übrig bleibt.
Aufgrund verschiedener
Reaktionen auf die Arbeit – historisch interessierte
Personen bezeichneten die Berechnungen als „folgerichtig“;
es wurden weitere Erklärungen durch Zeichnungen empfohlen,
um die Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Teilen
Ostpreußens dem Leser besser verständlich zu machen;
es wurde weitere Literatur benannt, um das Thema noch
gründlicher untersuchen zu können – entstand die Idee,
eine revidierte und erweiterte Fassung der Arbeit zu
schreiben mit dem Ziel, den Anteil der Prußen im sich
bildenden Neustamm der Ostpreußen bis 1740 darzustellen.
Für die erweiterte Fassung
des Beitrags
„Gedanken und Fakten
zur Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen
Der Anteil der Prußen
am sich bildenden Neustamm der Ostpreußen“
konnte bis heute kein
Verlag für eine Veröffentlichung gewonnen werden, so
dass sich die Alternative des Selbstverlags anbot. Die
Arbeit, in der Literatur von 1874 bis 2001 ausgewertet
worden war, konnte auch Herrn Dr. Andreas Kossert, am
Deutschen Historischen Institut in Warschau tätiger
Historiker, zur Kenntnis gegeben werden, da sein Masurenbuch
für die Arbeit ein wichtiger Baustein war. Herr Dr.
Kossert schlug eine kleine Ergänzung vor: In den Tabellen
zur Bevölkerungsstruktur von 1708 z.B. stehe bei allen
Ethnien das Substantiv „Deutsche“ und „Prußen“, aber
bei den Masuren „masurisch Sprechende“. Den Terminus
„Masurisch“ habe es zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben,
und alle offiziellen preußischen Unterlagen, sowohl
staatliche als auch kirchliche (letztere bis zum Ersten
Weltkrieg), sprechen von „Polen“. Er empfahl, die Masuren
entweder als ethnische separate Gruppe als solche zu
bezeichnen oder als „evangelische Polen“ oder „preußische
Polen“, denn, wie wir wissen, waren sie das, ob es manchen
lieb ist oder nicht. Ich habe die angeregten Vorschläge
im folgenden Text gern berücksichtigt:
Gedanken und Fakten zur Bevölkerungsentwicklung
in Ostpreußen
Der Anteil der Prußen am sich bildenden
Neustamm der Ostpreußen
Mich beschäftigt schon
seit einiger Zeit die Frage, wie viele Zuwanderer aus
Litauen und Masowien in Ostpreußen im Rahmen des Retablissements
bis 1740 angesiedelt wurden. Bei Dollinger liest sich
das so:„Ganz besonders muss aber auf sein großzügiges
Siedlungswerk nach den Pestjahren in Ostpreußen hingewiesen
werden, das zentral vom Staat gelenkt wurde. Dabei ließ
der König Siedlungswillige aus der Pfalz und Nassau,
2.000 Schweizer und 17.000 wegen ihres Glaubens aus
Salzburg vertriebene Protestanten in Ostpreußen einwandern.
Dadurch wuchs die ostpreußische Bevölkerung zwischen
1713 und 1740 um 160.000 Menschen auf rund 600.000 Einwohner
an. Die Bevölkerung Ostpreußens wuchs nicht zuletzt
aufgrund der persönlichen Bindung an ihren fürstlichen
Gönner aus Deutschen verschiedener Stämme und Ausländern,
auch Litauern, zu einer Staatsgemeinschaft zusammen.“
Gause ist der Ansicht,
dass der Anteil des litauischen und masurischen Elements
am preußischen Stamm sich zahlenmäßig nicht feststellen
lasse. Jedenfalls war er nicht gering. Litauischen Ursprungs
sind die vielen Namen auf –kat , kies, eit, at, is,
us (Jurkat, Budskies, Lenkeit, Szameitat, Jaguttis und
Stantus seien als Beispiele genannt). Masurisch sind
die Namen auf –ski (Kowalski), ak (Nowak) und a (Kurella,
Poleska, Slomka, Warda).
Wenn man den litauischen
und masurischen Anteil am preußischen Stamm zumindest
grob errechnen will, bietet sich die Beschäftigung mit
den Prußen und danach mit den eingewanderten Kolonisten,
für die Schätz- bzw. Literaturwerte vorliegen, an.
Im 13. Jahrhundert lebten
die Prußen in den volkreichen Gauen Pomesanien, Pogesanien,
Warmien (Ermland), Barten, Natangen und Samland von
der Weichsel bis zum Kurischen Haff, denen die großen,
aber weniger dicht besiedelten Gaue Sassen, Galinden,
Sudauen, Nadrauen und Schalauen im weiten Bogen vom
Südosten bis Nordosten vorgelagert waren. Im Gau Samland
lebte ein überproportional großer Teil der prußischen
Gesamtbevölkerung.
Abb. 1 Die prußischen Gaue zur frühen Ordenszeit (13.
Jh.)
Die Prußen wurden ab
1231 vom Deutschen Orden zwangschristianisiert. Als
mit der Unterwerfung des letzten Prußen-Stamms der Sudauer
1283 ein über 50 Jahre dauernder Landnahmekrieg zu Ende
geht, heißt das Land Preußen, an dessen Ost- und Südgrenze
eine Wildnis entstanden ist. Gause führt aus, dass im
Verlauf der Kämpfe die Grenzgaue Nadrauen, Schalauen
und Sudauen fast menschenleer wurden. Die Reste der
Schalauer wurden in Dörfern bei Tilsit und Ragnit angesetzt.
Die überlebenden Sudauer wurden, soweit sie sich nicht
nach Litauen abgesetzt hatten, vom Deutschen Orden in
das Samland umgesiedelt. Das Gebiet war noch lange als
„Sudauerwinkel“ bekannt.
Die große Welle der
Einwanderung deutscher Kolonisten verebbte schon um
1320 (Gause). Die Besiedlung wurde dann mit den Kindern
der Einwanderer als „Binnenkolonisation“ fortgeführt.
Als der Deutsche Orden die Niederlage von Tannenberg
1410 erlitt, hatte sie den Rand der Wildnis erreicht.
Laut „Territorien-Ploetz“
wurden zur Besiedlung der Wildnis an der Ost- und Südgrenze
Siedler von jenseits der Grenze herangezogen. Masuren
(aus Masowien) sind in geringer Zahl bereits seit dem
14. Jahrhundert eingewandert, vereinzelt auch Litauer
und Ruthenen. Nach 1466 (dem Jahr des 2. Thorner Friedens)
wird die Einwanderung von Masuren und Litauern stärker
und schwillt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
besonders an. Masuren werden nicht nur als Bauern, sondern
auch als Gutsbesitzer angesetzt, dringen auch in die
Städte ein; Litauer sind fast ausschließlich Bauern.
Der Süden des Landes spricht seit dem 16. Jahrhundert
überwiegend masurisch („Masuren“), der Nordosten litauisch
(„Preußisch-Litauen“).
Nun zu den Literaturangaben über die
Prußen:
Von Krockow spricht
von „etwa 150.000 bis 170.000 Prußen, die es um 1230
zwischen Weichsel und Memel gab“. Boockmann verweist
auf die neueste Schätzung der Bevölkerungszahlen zum
Zeitpunkt der Eroberung des Landes durch den Deutschen
Orden und nimmt für Preußen und das Kulmer Land 220.000
Menschen an. Higounet führt aus, dass „die Bevölkerung
Preußens zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf 170.000
geschätzt wurde“. Boockmann schreibt auch: „Die Bevölkerungszahlen,
die genannt werden, beruhen unvermeidlich auf Schätzungen.
Solchen Schätzungen zufolge betrug die Bevölkerung Preußens
vor Beginn der Eroberung des Landes durch den Deutschen
Orden 140.000 Köpfe. Um 1400 dürfte die prußische Bevölkerung
im Ordensstaat ebenso stark gewesen sein – zu ihr kamen
etwa 103.000 Deutsche und gegen 27.000 Polen, vor allem
im Kulmer Land. Das würde für die prußische Bevölkerung
bedeuten, dass die Verluste aus der Eroberungszeit wieder
ausgeglichen waren“.
Laut Schumacher hat
der Orden die eingeborene prußische Bevölkerung seines
Landes weder „ausgerottet“, noch planmäßig „germanisiert“.
Gegen den Versuch einer Ausrottung, auch wenn er beabsichtigt
gewesen wäre, hätten schon die einfachsten Erwägungen
der Zweckmäßigkeit gesprochen. Da die Besiedlung des
Landes mit deutschen Bauern erst gegen Ende des 13.
Jahrhunderts einsetzte und auch noch nach 100 Jahren
noch nicht abgeschlossen war, hätte es dem Orden im
ersten halben Jahrhundert völlig, in dem ganzen zweiten
Jahrhundert zum großen Teil an den nötigen Arbeitskräften
für den Landbau und damit ihm und seinen Städten an
dem unentbehrlichen Lebensunterhalt gefehlt. Ein schlagenderer
Beweis ist jedoch die urkundlich feststehende Tatsache,
dass der Orden vom 13. bis zum 15. Jahrhundert immer
wieder Verschreibungen an Prußen ausgestellt hat (Bände
I,2 bis III,1 des Preußischen Urkundenbuches und der
Urkundenbücher der vier preußischen Bistümer) und dass
ein großer Teil des Landvolks noch während des ganzen
16. Jahrhunderts die altpreußische Sprache redete.
Die Hauptmasse der prußischen
Bevölkerung erfuhr eine erhebliche Minderung ihrer Rechts-
und Wirtschaftslage. Im 15. Jahrhundert begann mit dem
allmählichen Sinken der sozialen und rechtlichen Stellung
der deutschen Bauern eine gewisse Annäherung und Verschmelzung
zwischen ihnen und den prußischen Bauern. Trotzdem war
die altpreußische Sprache noch im 16. Jahrhundert bei
der großen Masse der bäuerlichen Bevölkerung, besonders
im Samland, sehr verbreitet. Ins westliche Samland ist
die deutsche Dorfsiedlung überhaupt nicht vorgedrungen,
da dort eine geschlossene prußische Bevölkerung saß.
Auch das östliche Samland (bis zur Deime) konnte erst
spät und dünn mit deutschen Dorfsiedlungen durchsetzt
werden.
Bei der Einführung der
Reformation mussten den deutschen Predigern überall
besondere Dolmetscher, die sogenannten „Tolken“, zur
Seite gestellt werden, die die deutsche Predigt ins
Altpreußische übersetzten, wie denn auch die Übersetzungen
des Katechismus ins Altpreußische, die Herzog Albrecht
1545 und 1561 anfertigen ließ, einem dringenden Bedürfnis
entsprachen. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts ist,
nachdem die Verschmelzung zwischen Prußen und Deutschen
während des 16. Jahrhunderts bei weiterer Verschlechterung
der Lage der deutschen Bauern rascher stattgefunden
hatte, die altpreußische Sprache erloschen. 1684 erwähnt
Hartknoch, dass es hier und da noch vereinzelte Leute
geben soll, die die altpreußische Sprache noch verstehen
(B. Ehrlich, Die alten Preußen, in: Der Ostdeutsche
Volksboden, 1926, S. 266).
Wenzkus führt aus: „Wie
neuere Untersuchungen zeigen, war durch die verheerenden
Kriege dieser Periode so viel Land wüst geworden, dass
die prußischen Bauern ihren Landbesitz so weit vergrößern
konnten, dass er jetzt den Umfang des deutschen Bauernlandes
erreichte. Da sich nun andererseits die Lage der deutschen
Bauern durch die Durchsetzung der Schollengebundenheit
und größere Scharwerksleistungen rechtlich verschlechterte,
glich sich die Lage beider Bevölkerungsgruppen stark
an. Das war die Voraussetzung der Eindeutschung des
prußischen Bauerntums, das – schon im 16. Jahrhundert
auf kleine Sprachinseln beschränkt – im 17. Jahrhundert
zu bestehen aufgehört hatte“.
Wer die quantitative
Entwicklung der Ethnie der Prußen im Rahmen des sich
bildenden Neustamms der Ostpreußen bis 1740 darstellen
will, kommt nicht umhin, das Wachstum der Prußen in
gleicher Weise wie das Wachstum der verschiedenen anderen
nach Ostpreußen eingewanderten und statistisch erfassten
Bevölkerungsgruppen hochzurechnen, ohne das Konnubium
über Bevölkerungsgrenzen hinaus zu berücksichtigen!
In einer separaten Tabelle
wurde das Wachstum der Prußen von 1400 bis 1708, dem
Jahr vor der Pest von 1709 – 1711, mit einer jährlichen
Wachstumsrate von 0,17% berechnet. Danach betrug die
Anzahl der Prußen in 1708
228.743 Köpfe (s. Anlage 1, Wachstum der Prußen).
Dabei wurden in 1656
6.849 Opfer durch den Tatareneinfall berücksichtigt.
Laut Grenz wurden nach
den vorhandenen Berichten 13 Städte, 249 Dörfer und
37 Kirchen verbrannt und zerstört, 23.000 Menschen erschlagen
und 34.000 fortgeschleppt. Die meisten dieser Unglücklichen
starben an Hunger und Kälte. Während Hermanowski berichtet,
dass 1656 Tatareneinfälle in den Süden des Landes stattfanden,
führt Grenz aus, dass die Tataren in Ostpreußen einfielen
und bis nach Tilsit hineinzogen. Auch im Hauptamt Insterburg
habe der Feind furchtbar gewütet und den Ort Gumbinnen
heimgesucht. Es scheint festzustehen, dass die Vorgänge
auch das Kreisgebiet Gumbinnen so schwer trafen, dass
es sich in den nächsten 50 Jahren nicht mehr erholen
konnte.
Die jährliche Wachstumsrate
der deutschen Kolonisatoren wurde für die Zeit von 1400
bis 1708 ebenfalls mit 0,17% angesetzt. Daraus resultieren
in 1708 166.312
Deutsche. Dabei wurden in 1656
6.849 Opfer durch den Tatareneinfall einkalkuliert.
Auch für die geschätzten
1.300 Holländer und Schotten, die ab 1523 einwanderten,
wurde eine jährliche Wachstumsrate von 0,17% angenommen.
Die 8.000 Hugenotten,
die 1685 in Ostpreußen aufgenommen wurden, wuchsen nach
dieser Modellrechnung ebenfalls mit einer jährlichen
Wachstumsrate von 0,17%.
Der Bevölkerungsanteil
der Deutschen, Holländer, Schotten, Hugenotten und laut
Schumacher 500 eingewanderten Franzosen betrug somit
in 1708 176.911
Köpfe.
Das masurisch/polnische
Element am preußischen Stamm lässt sich aus mehreren
in der Literatur angegebenen Werten einschätzen. Laut
Schumacher sprachen in Masuren von rund 400.000 Einwohnern
1870 noch rund 80% masurisch. Polnische Lexika dagegen
betonen unter dem Stichwort Mazowsze pruskie (preußisches
Masowien), dass 1870 „noch 75 Prozent der Bevölkerung
polnischer Nationalität“ gewesen seien und sich ihre
Zahl nur „unter dem Druck der Germanisierung“ verringert
habe. (Kossert)
Schumacher informiert,
dass der König 1739 verfügte, in den litauischen und
masurischen Schulen auch die deutsche Sprache zu lehren,
wodurch die Eindeutschung dieser fremdsprachigen Bevölkerungsteile
Ostpreußens in bedeutsamer Weise vorbereitet wurde.
Somit ist es zulässig, den Anteil der um 1800 polnisch
sprechenden Masuren gegenüber 1870 um einige Prozentpunkte
zu erhöhen. Wären es 10 Prozentpunkte, käme man in Masuren
um 1800 auf 85% der Bevölkerung mit polnischer Sprache.
Eine Kontrollmöglichkeit bietet Kossert durch die Veröffentlichung
einer Aufstellung über den prozentualen Anteil der deutsch-
und polnischsprachigen Bevölkerung in den masurischen
Kreisen Johannisburg, Lötzen, Lyck, Oletzko, Sensburg,
Ortelsburg, Neidenburg, Osterode im Jahre 1825 mit einem
Durchschnittswert von 86,2% polnischsprachiger Bevölkerung.
Gause erwähnt, dass
die ostpreußische Bevölkerung bis 1871 auf 1.823.000
Köpfe wuchs. Aus einer von mir erstellten Bevölkerungstabelle
lässt sich für 1870 eine Bevölkerungszahl von 1.806.332
Personen ablesen. 75% von 400.000 Einwohnern in Masuren
in 1870 sind 300.000 Einwohner, 85% führen zu einem
Wert von 340.000 Köpfen. 340.000 von 1.806.332 Einwohnern
sind 18,8% der ostpreußischen Bevölkerung. Wenn dieser
Prozentsatz auf die Gesamtbevölkerungszahl des Jahres
1708 (= 675.836 Einwohner ) bezogen wird, lässt sich
die Zahl von 127.210
polnisch Sprechenden ermitteln.
Die Bevölkerungsstruktur
von Masuren in 1708:
|
|
|
7,5 % |
Deutsche (geschätzt) |
11.225 |
7,5 % |
Prußen (geschätzt) |
11.224 |
|
|
149.659 |
Dies führt
zur Bevölkerungsstruktur Ostpreußens in 1708:
228.743 |
|
33,8
% |
166.312 |
Deutsche |
24,6
% |
10.599 |
Holländer, Schotten, Hugenotten,
Franzosen |
01,6
% |
127.210 |
Masuren |
18,8
% |
142.972 |
Litauer
(Restwert) |
21,2
% |
675.836 |
|
100,0 % |
Die Bevölkerung des
Ermlands gehört bei allen Berechnungen zu Ostpreußen,
obwohl das Ermland von 1466 bis 1772 an Polen abgetreten
werden musste.
Nach Hermanowski und
Stamm starben jeweils rund 240.000 Bewohner Ostpreußens
infolge der Großen Pest. Auf der Grundlage von rund
600.000 angegebenen Einwohnern der Provinz wäre damit
die Einwohnerzahl Ostpreußens zum Ende 1711 auf 360.000
Köpfe gesunken. Da Hermanowski in seinem Lexikon für
das Jahr 1713 eine Bevölkerung von 450.000 Einwohnern
in Ostpreußen angibt, entsteht eine Differenz von 90.000
Einwohnern. Auch Dollinger und Gause machen den gleichen
Kalkulationsfehler. Dollinger schreibt in seiner tabellarischen
Aufstellung: „1708: Beginn der Pest-Jahre in Ostpreußen
(bis 1711), in denen von rund 600.000 Menschen etwa
250.000 sterben“. Andererseits lässt er den Leser des
gleichen Werks wissen, dass die ostpreußische Bevölkerung
zwischen 1713 und 1740 um 160.000 Menschen auf rund
600.000 Einwohner anwuchs. Gause erwähnt furchtbare
Verluste, die die Provinz, besonders ihr nördlicher
Teil, durch die Pest der Jahre 1708/-10 erlitt – von
etwa 600.000 Menschen starben rund 240.000 – und erwähnt
in der nächsten Spalte:„ Der König hatte am Ende seines
arbeitsreichen Lebens die Genugtuung, dass die Bevölkerung
der Provinz von 440.000 (1713) auf 600.000 Menschen
gestiegen war“. Somit bringt Dollinger seine Leser mit
einer Differenz von 90.000 Einwohnern zum Nachdenken,
während Gause sich mit einer Differenz von 80.000 Einwohnern
begnügt. Terveen gibt 241.171 Pestopfer an und schätzt
die Bevölkerung Ostpreußens vor der Pest auf 600.000
Menschen. Grenz zeigt jedoch einen Ausweg aus diesem
Zahlenwirrwarr auf. Er berichtet, dass von den 600.000
bis 700.000 Einwohnern in Ostpreußen die Pest 200.000
bis 250.000 dahingerafft habe. Somit ist es realistisch,
bei Ansatz des Pestopferwerts von Wank in Höhe von 235.836
Personen und eines Bevölkerungsbestandes von 440.000
Einwohnern in 1713 (Dollinger, Gause und Schumacher)
mit 675.836 Köpfen vor der Pest zu rechnen.
Die Ermittlung der
Zahl der Opfer durch den Tatareneinfall in 1656 bedarf
einer separaten Berechnung:
Die Bevölkerungszahlen
Preußisch-Litauens und Masurens des Jahres 1708 werden
auf 1656 mit dem Multiplikator von 0,9154659 (= -0,17%
jährlich ) rückgerechnet.
1708 Preußisch-Litauen |
228.865 |
1656 Preußisch-Litauen |
209.518 |
1708 Masuren |
149.659 |
1656 Masuren |
137.008 |
1656 Preußisch-Litauen: |
130.886 Litauer |
39.316 Deutsche |
39.316 Prußen |
1656 Masuren |
116.456 Masuren |
10.276 Deutsche |
10.276 Prußen |
Annahme:
40%
der Tatareneinfallopfer gehen zu Lasten der preußisch-litauischen
Bevölkerung
57.000 x 0,40 = 22.800
60%
der Tatareneinfallopfer gehen zu Lasten der masurischen
Bevölkerung
57.000 x 0,60 = 34.200
1656 Preußisch-Litauen:
209.518 – 22.800 =186.718 (ergibt Tatarenverlustmultiplikator
von 0,8911788)
130.886 |
|
x
0,8911788 = |
116.643 |
39.316 |
Deutsche |
x
0,8911788 = |
35.038 |
39.316 |
Prußen |
x
0,8911788 = |
35.037 |
1656 Masuren: 137.008
– 34.200 =102.808 (ergibt Tatarenverlustmultiplikator
von 0,7503795)
116.456 |
|
x
0,7503795 = |
87.386 |
10.276 |
Deutsche |
x
0,7503795 = |
7.711 |
10.276 |
Prußen |
x
0,7503795 = |
7.711 |
Verluste durch den
Tatareneinfall:
Litauer 14.243, Deutsche
4.278 + 2.565 = 6.843, Prußen 4.279 + 2.565 = 6.844,
Masuren 29.070.
Nach dem Tatareneinfall wuchs die litauische
und polnischsprachige Bevölkerung von 1656 bis 1708
durch Geburtenüberschuß und Zuwanderung auf die für
1708 hochgerechneten Werte.
Nun zu den Auswirkungen
der Bevölkerungsverluste durch die Pest in 1709/1711:
Zahl der Pestopfer in Preußisch-Litauen |
183.092 |
|
Zahl der Pestopfer in Masuren |
44.307 |
|
Zahl der Pestopfer in Königsberg |
8.437 |
(nach Terveen) |
Zahl der Pestopfer in Ostpreußen |
235.836 |
(nach Wank) |
1708 Preußisch-Litauen
142.972 |
Litauer |
x 0,2 = |
28.594 |
|
|
|
|
42.946 |
Prußen |
x 0,2 = |
8.589 |
228.865
– 183.092 |
|
= |
45.773 |
1708 Masuren
127.210 |
Masuren |
x 0,7039469 = |
89.549 |
11.225 |
Deutsche |
x 0,7039469= |
7.902 |
11.224 |
Prußen |
x
0,7039469= |
7.901 |
149.659
– 44.307 |
= |
|
105.352 |
1708 Westliches Ostpreußen einschließlich
Königsberg
228.743
Prußen abzgl. 42.946 Prußen in Pr.-Lit. abzgl.
11.224 Prußen in Mas. =174.573 Prußen.
176.911 Deutsche etc.
abzgl. 42.947 Deutsche in Pr.-Lit. abzgl. 11.225 Deutsche
in Masuren.
=122.739
Deutsche etc. abzgl. 8.437 Pestopfer
=114.302
Deutsche etc.
Da die Prußen vorwiegend
auf dem Lande wohnten, wurden in Königsberg keine Pestopfer
bei den Prußen berücksichtigt.
Daraus
ergibt sich die Bevölkerungsstruktur
Ostpreußens Ende 1711:
28.594 |
Litauer |
89.549 |
Masuren |
130.794 |
Deutsche etc. |
191.063 |
Prußen |
440.000 |
Einwohner |
Aufgrund
der Angaben von Gause zur Bevölkerungsstatistik lässt
sich für den Zeitraum von 1740 – 1816 eine jährliche
Wachstumsrate von 0,51417% errechnen. Darin sind die
Verluste durch den Siebenjährigen Krieg erfasst. Dieser
Wert erhöht sich bei den folgenden Berechnungen für
den Zeitraum von 1711 – 1740 auf 0,6515%. Er entspricht
fast dem Wachstum der ostpreußischen Bevölkerung von
1910 – 1939 (0,6466%). Der entsprechende Wachstumsmultiplikator
beträgt 1,2072215 (s. Anlage 2 Rückrechnung der Bevölkerung
Ostpreußens von 1740 auf 1711). Die für 1711 ermittelte
Bevölkerung Ostpreußens wächst damit bis 1740
wie folgt:
|
|
|
|
|
89.549 |
Masuren |
x 1,2072215
= |
108.105 |
|
130.794 |
Deutsche etc. |
x
1,2072215
= |
157.897
|
|
191.063
|
Prußen
|
x
1,2072215
= |
230.655
|
|
|
|
|
531.177
|
Einwohner
|
Ich habe eine diesbezügliche
1954 in Göttingen erschienene Dissertation „Gesamtstaat
und Retablissement“ durchgearbeitet, die nach Schumacher
auf dem Studium der Akten des ehemaligen Staatsarchivs
in Königsberg (jetzt Göttingen) beruht. Der Autor Terveen
ist, was die Zahlen der Siedler aus deutschen Territorialstaaten
anbetrifft, jedoch wenig konkret. In den „Anmerkungen“
zu seiner Arbeit schreibt er sogar: „Es war im Rahmen
vorl. Arb. nicht möglich u. nicht beabsichtigt, eine
vollständige Übersicht über alle Siedlungsgruppen in
Pr.-Lit. zu geben....Bei Beurteilung d. auswärt. Siedler
darf nicht unbeachtet bleiben, dass die Inländer im
Gesamtbild d. Repeuplierung doch überwiegen....Der Zugang
fremder Kolonisten ist, wenigstens z. T., vor allem
qualitativ bedeutend (Magdeburger, Märker !)...“.
Terveen verweist auf
Beheim-Schwarzbach, Hohenzollernsche Kolonisation, und
Beheim-Schwarzbach, Friedrich Wilhelms I. Kolonisationswerk
in Litauen.
Es ist vielleicht der
größte Fehler der Beheim-Schwarzbachschen Darstellungen,
dass er die Kolonisation mit den litauisch-polnischen
Elementen nicht genügend berücksichtigt. Dies ist die
Meinung von Skalweit. Zudem sind die Arbeiten von Beheim-Schwarzbach
sehr von dem Gedanken der „Germanisierung Litauens durch
die kolonisatorische Tätigkeit eines Friedrich Wilhelm’s
I.“ geprägt. Eine Kostprobe von Seite 78, Kolonisationswerk:„Wir
gewinnen aus diesen genauen Aufzeichnungen ein überraschendes
Resultat, nämlich: dass nur der Lithauer und der deutsche
„Colonist“, aber keine eigentliche altheimische deutsche
ländliche Bevölkerung in diesen Aemtern aufgeführt wird.
Der Schluß liegt nahe, dass, so wie in diesen zehn Aemtern,
auch die Zusammensetzung in den übrigen Aemtern mit
gemischter Bevölkerung gewesen sein mag, dass also durch
die Colonisationen nach den Jahren der Pest, für einige
Aemter direct, für andere indirect nachweisbar, der
Grund zu nachhaltiger, wachsender Germanisirung Lithauens
gelegt ist. Die Aufstellung aus jenen zehn Aemtern ergiebt
die Totalsumme von 2.393 Familien, davon sind 1.335
Lithauer, mithin bleiben 1.058 Colonistenfamilien;..."
Aus 44,2% Kolonistenfamilien und 55,8% litauischen Familien
leitet Beheim-Schwarzbach eine Germanisierung ab!
Die aus der Literatur
ermittelten Kolonisten-Ansiedlungen nach der Großen
Pest:
1711
Skalweit führt aus:„In
der gedruckten Literatur ist unseres Wissens jene große
Ansiedlung in den ersten Jahren nach der Pest, wo sich
nach einer Angabe der Regierung bis Ende des Jahres
1711 auf ausgestorbenen Erben 4.241 Wirte ansetzten,
überhaupt noch nicht erwähnt. Abgesehen von 15 Schweizerfamilien
erfolgte sie lediglich durch die litauisch-preußische
Bevölkerung und polnischen Zuzug. Diese Ansiedlung war
dem Umfang nach die größte, den Kosten nach die billigste,
der Ausführung nach die leichteste“.
Nach von Skalweit angestellten
Berechnungen ist in dieser Periode eine Kolonistenfamilie
durchschnittlich auf 4,5 Köpfe zu veranschlagen. Demnach
würden diese Familien einer Kopfzahl von 19.085 entsprechen.
Ähnliche Informationen
liefert Stahl, da er berichtet, dass 1711
4.620 Höfe aus dem Überschuss der einheimischen
Bevölkerung besetzt wurden. Damit war der Zugang aus
dem eigenen Land erschöpft.
1712 und 1713
sind die Jahre der großen
Einwanderung von Schweizern und Deutschen.
Skalweit erwähnt |
921 deutsche Familien |
(à 4,5 Köpfe = 4.145 Personen) |
|
318 schweizer Familien |
(à 4,5 Köpfe = 1.431 Personen) |
|
435 Preußen und Litauer |
(à 4,5 Köpfe = 1.957 Personen) |
Die 4.145
Deutschen entsprechen den „4.000 Seelen, die 1711 und
1712 nach Königsberg geschafft“ und von Skalweit, Terveen
und Stahl erwähnt werden. Stahl nennt auch die Gebiete,
aus denen die Siedler stammen: Pfalz, Franken, Anhalt,
Braunschweig, Magdeburg, Halberstadt, Pommern, Mark
Brandenburg, Grafschaft Mark. Die 4.145 Personen setze
ich ab 1713 mit dem Wachstumsmultiplikator 1,1916441
in eine Zuwanderungstabelle
= 4939
Personen
Skalweit gibt an, dass
unter den schweizer Einwanderern im Jahre 1712 viele
waren, die sich zur Bewirtschaftung ihrer Höfe als untauglich
erwiesen und wieder entfernt werden mussten.
An ihre Stelle traten
Bauern auch anderer Nationalität.
Ende April 1713 trat
eine Verschärfung der Ansiedlungsbedingungen ein. Da
die ausgestorbenen Bauernhöfe zum größten Teil besetzt
waren, sollte in Zukunft sich jeder Ansiedler aus eigenen
Mitteln anbauen.
1714
siedelten
sich nach Skalweit nur 21 deutsche Familien (à 4,5 Köpfe
= 95 Personen) an.
Sie kommen mit dem Wachstumsmultiplikator 1,1839316
in die Zuwanderungstabelle=
112
Personen
Beheim-Schwarzbach nennt
noch 8 Waldenserfamilien nahe Stallupönen (à 4,5 Köpfe
x 1,1839316)=
43
Personen
1715
kamen laut Skalweit
55 reformierte Familien aus dem Nassau-Siegenschen =
248
Personen
die auch Grenz und Stahl
erwähnen. Der Wachstumsmultiplikator 1,1762676 führt
zu
292
Personen
Weitere 48 Personen
aus Nassau-Siegen erwähnt Grenz. Mit dem Wachstumsmultiplikator
1,1762676 sind das
56
Personen
In den folgenden Jahren
war laut Skalweit die Zahl der angesiedelten Bauern
gering. Bis
1719
wuchs die Schweizerkolonie
um einige Familien auf 380 Familien an. Die 1.710 Personen
kommen ab 1719 mit dem Wachstumsmultiplikator 1,1461077
in die Zuwanderungstabelle=
1960
Personen
Darin sind auch Pfälzer
und Nassauer, die in der Schweizerkolonie wohnten, enthalten.
1720
traten in die Schweizerkolonie
noch pfälzische Familien ein. In der Literatur gibt
es dazu verschiedene Angaben. Beheim-Schwarzbach spricht
von 101 Pfälzern. Grenz führt 101 Familien auf, die
ihren Wohnsitz im Kreise Gumbinnen zugewiesen bekamen
(à 4,5 Köpfe =
455 Personen). Skalweit
erwähnt 40 pfälzische Familien, die in die Schweizer
Kolonie eintraten, womit die Höchstzahl von 420 Familien
erreicht wird (40 à 4,5 Köpfe = 180
Personen) und 44 Pfälzer
Familien, die mit über 200 Personen in Königsberg ankamen.
Von diesen Werten nehme ich den Höchstwert von 455 Personen,
die mit dem Wachstumsmultiplikator 1,1386884 in die
Zuwanderungstabelle kommen, also
518
Personen
Andererseits schließe
ich 110 Schweizer Familien respektive 550 Seelen, über
deren Einwanderung Beheim-Schwarzbach in 1718 und folgenden
Jahren berichtet, aus. Skalweit ist der Meinung, dass
die Einwanderung wohl geplant war, aber nicht erfolgte.
Auch die Ansetzung von
Litauern hörte nach Skalweit nicht auf. Aber die Zunahme
war so gering, dass sie durch die in diesen Jahren besonders
starke Bauernflucht mindestens aufgewogen wurde.
1721 und 1722
Etwa 500 Köpfe im ganzen
betrug die Zahl der 1721 und 1722 aus Deutschland nach
Ostpreußen gesandten fremden Kolonisten. Größer war
wohl der Zuzug von litauischen, preußischen und polnischen
Bauern (Skalweit). Somit setze ich mit dem Wachstumsmultiplikator
1,1276446
564
Personen
in die Zuwanderungstabelle.
Ende 1722 wollte der
König aus der Mark, Pommern und anderen Provinzen Kolonisten
zwangsweise nach Ostpreußen senden.
1723
wurden etwa 2.750 Personen
auf diese Weise nach Ostpreußen verschickt. Im Juni
1723, als nahezu 500 Bauernfamilien in Ostpreußen eingetroffen
waren, eigneten sich nur 101 Familien für die Ansiedlung
(Skalweit). Daher habe ich 455 Personen mit dem Wachstumsmultiplikator
1,1167195 =
508
Personen
in die Zuwanderungstabelle
übernommen. Es musste ein Edikt erlassen werden, das
die Untertanen vor zwangsweiser Versendung nach Ostpreußen
zu schützen versprach.
In der Konferenz zu
Ragnit sagte Löwensprung, dass auf 200 Bauernhöfe 400
Einwanderungsfamilien gerechnet werden müssten, da die
Hälfte zum Ausmerzen gebraucht würde.(Skalweit).
Aus der Pfalz und Nassau
sollen nach Skalweit 1.464 Personen nach Ostpreußen
ausgewandert sein. Mit dem Wachstumsmultiplikator 1,1167195
sind das
1.635
Personen
Auch aus Hessen-Kassel
meldeten sich Leute (geschätzt 500). Der Wachstumsmultiplikator
558
Personen
Aus den polnischen Gebieten
fand ebenfalls ein bedeutender Zulauf statt.
Unter den in der Niederung
angesiedelten Mennoniten ließ der König im September
Zwangsaushebungen zum Militärdienst vornehmen. Nach
diesem Gewaltakt wanderte die 1.000 Seelen starke Kolonie
aus (Skalweit). Daher werden Mennoniten in dieser Arbeit
bei der Zuwanderung nicht berücksichtigt.
1727
geriet das Kolonisationswerk
ins Stocken. Allerdings erwähnt Skalweit noch etwa 100
Familien, die schon vorher angeworben waren. Aber in
den folgenden Jahren geschah nichts.
100 Familien à 4,5 Köpfe
= 450 Personen, so dass mit dem Wachstumsmultiplikator
1,088086
490
Personen
in die Zuwanderungstabelle
kommen.
1731
Über Desertionen liegen
zahlreiche Belege vor. In einer Besprechung und im Reglement
für die Bauernwirtschaft Ostpreußens vom 9. Oktober
1733 klagte Friedrich Wilhelm I. darüber, dass man infolge
zunehmender Desertionen fast ein neues Etablissement
vornehmen müsse, um die Bevölkerungszahl zu halten (Terveen).
1734
Die Zahl der 1732 nach
Königsberg dirigierten Salzburger (= 15.508 Personen)
war 1734 auf 11.989 gesunken. Dies geht nach Skalweit
aus den Akten des Geh. Staatsarchivs (Gen Dir. Ostpreuß.
Mat. Tit. 34 Sect. 9 Nr. 9) hervor. Beheim-Schwarzbach
kommt für die gleiche Zeit auf 11.888 Salzburger. Ich
beziehe 11.989 Salzburger mit dem Wachstumsmultiplikator
1,0397316 in die Zuwanderungstabelle
ein =
12.465
Personen
1738
Beheim-Schwarzbach berichtet,
dass 13 Schweizer Familien à 5 Personen nach Ostpreußen
kamen. Dagegen spricht Skalweit von 13 Schweizer Familien,
die aber nicht in der Schweizer
Kolonie eintrafen, sondern
in Masuren (in Staßwinnen im Amte Lötzen) angesiedelt
wurden. Sie bewährten sich schlecht und liefen bis auf
4 Familien wieder davon. Somit setze ich 4 Familien
à 4,5 Köpfe =
18
Personen
in die Zuwanderungstabelle.
1740
gelangten 1.033 Seelen
aus Lothringen und dem Nassauischen nach Ostpreußen.
(Skalweit) =
1033
Personen
Die Summe
der Werte der Zuwanderungstabelle beträgt 25.191 Personen.
Somit sind 556.368 Einwohner erfasst.
Aus den 68 Schweizern
des Jahres 1711 und den verschiedenen Positionen der
Zuwanderungstabelle lässt sich eine Anzahl von 281 schweizer
Familien in 1740 errechnen. Diese Zahl entspricht in
etwa einer Information von Skalweit, der berichtet,
dass 1729 von der litauischen Deputation 282 Wirte als
Nationalschweizer angegeben werden.
Aus der Zuwanderungstabelle
lässt sich ableiten, dass von 1711 – 1740
12.465 Salzburger, 1.682 Nassauer, 1.335 Pfälzer
, 7.201 Siedler anderer deutscher Stämme, 1.949 Schweizer,
516 Lothringer und 43 Waldenser, insgesamt 25.191 Einwanderer
nach Ostpreußen kamen. Um die in der Literatur erwähnte
Einwohnerzahl von 600.000 Köpfen in 1740 zu erreichen,
fehlen 43.632 Siedler, die aus Litauen bzw. Masowien
stammen müssten.
Auf Masowien entfallen
4.841 Siedler , um den Prozentsatz der Masuren (wie
in 1708) auf 18,8 % erhöhen zu können.
Der für die Litauer
verbleibende Restwert beträgt 38.791 Siedler. Diese
Einwohnerzahl muss durch Zuwanderung bzw. eine höhere
jährliche Wachstumsrate als 0,6515% erreicht worden
sein.
Somit sind im Rahmen
des Retablissements von 1711 – 1740 in Ostpreußen angesiedelt
worden:
25.191
Siedler aus deutschen Territorialstaaten, Salzburger,
Schweizer und andere
= 36,6 %
43.632 Siedler
aus Litauen/Preußisch-Litauen und Masowien
= 63,4 %
68.823 Siedler
=100,0 %
Skalweit
führt aus:„Wollen wir eine Zahl über den Gesamtumfang
der Ansiedlungen in Litauen am Ende der Regierung Friedrich
Wilhelms I. angeben, so erscheint die Angabe zutreffend,
die Schmoller im Gumbinner Regierungsarchiv gefunden
hat und den Bauernbestand des Jahres 1736 bezeichnet,
und zwar:
Salzburger |
766
Familien |
Schweizer, Nassauer und andere
Deutsche |
2.992
Familien |
Litauer |
8.075
Familien |
|
11.833
Familien |
Die Zahlen
passen gut zu anderen Resultaten, wenn auch zu beachten
ist, dass das Jahr 1736 ziemlich früh gewählt ist, bis
1740 der Stand sich noch um einiges geändert hat und
insbesondere die Zahl der auf Höfen angesiedelten Salzburger
gewachsen ist. Demnach sind die Litauer mehr als doppelt
so stark als die Salzburger, Schweizer und Deutschen
zusammengenommen. Auch Schmoller hebt hervor, dass unter
den 8.075 Litauern viele Hunderte sein müssten, die
wir in unserem heutigen Sinne als Kolonisten bezeichnen
würden. Unsere Untersuchung hat das bestätigt, und man
wird nicht zu viel sagen, wenn man die Hälfte als neu
angesetzt bezeichnet....“ Skalweit ergänzt:„Außerdem
ist zu beachten, dass nur der augenblickliche Bestand
angegeben wird und nicht auch die große Zahl der ausgemerzten
oder entflohenen Wirte, die dermaleinst ebenfalls Kolonisten
gewesen waren. Und einen wie großen Bestandteil diese
ausmachten, beweist die Tatsache, dass bei Gelegenheit
der Salzburger -Einwanderung von 600 angesetzten Bauernfamilien
die Hälfte Höfe schlechter oder entlaufener Wirte erhielten....“
Kehren wir zu der
für 1740 errechneten Bevölkerungstabelle (Wachstum von
1711 – l740) zurück und zählen die Zuwanderungswerte
hinzu:
Litauer |
34.520 |
+ |
38.791
|
= |
73.311 |
12,2% |
Masuren |
108.105 |
+ |
4.841
|
= |
112.946 |
18,8% |
Deutsche etc. |
157.897 |
+ |
25.191 |
= |
183.088 |
30,5% |
Prußen |
230.655 |
|
|
= |
230.655 |
38,5% |
|
|
|
|
|
600.000 |
100
% |
Wie Skalweit zum Ausdruck
bringt, ist die Hälfte der Litauer neu angesetzt!
Boockmann verweist auf
„viele Emigrationen von Prußen“ während der Kämpfe gegen
den Deutschen Orden. Baumann schreibt über den letzten
Heerführer der Sudauer, Skurdo, und den Rest seines
Stammes:„Mit der Habe, die des Mitnehmens wert war und
nach Zerstörung ihrer Häuser durch Feuer, zogen die
Sudauer ins Land ihrer Nachbarn, der Litauer, um einige
Jahrhunderte später als „litauische“ Zuwanderer wieder
in die Heimat zurückzukehren“.
Wahrscheinlich wanderten
auch Nachkommen der einstmals vor den Ordensheeren geflüchteten
Nadrauer und Schalauer als „litauische“ Zuwanderer ein.
Wir hätten also einen guten Grund, den Anteil der Prußen
im sich bildenden Neustamm der Ostpreußen zu Lasten
der Litauer zu erhöhen.
Ich beende meinen Versuch,
den litauischen und masurischen Anteil am ostpreußischen
Neustamm zumindest grob zu errechnen. Der Anteil der
Deutschen, Holländer, Schotten, Hugenotten, Franzosen,
französischen Schweizer und Salzburger im sich bildenden
Neustamm der Ostpreußen dürfte aufgrund der großen Zahl
der ausgemerzten oder entflohenen Bauernfamilien 1740
realiter gesunken sein, das heißt zugunsten des Anteils
der Litauer. Die Prußen dagegen, in einer Modellrechnung
bis 1740 quantitativ dargestellt, ohne dass das Konnubium
über die Bevölkerungsgrenzen hinaus berücksichtigt wurde,
bilden einen wesentlichen Anteil des Neustamms der Ostpreußen!
Harder schreibt in „Slawen
und Balten in Deutschland“:„Auf slawischer ethnischer
Grundlage hat das deutsche Volk im Südosten und im Osten
seines Siedlungsgebiets bei dem Eintritt in die Geschichte
die Neustämme der Mecklenburger, Brandenburger, Thüringer
und
Sachsen (Obersachsen),
Pommern und Schlesier und schließlich die Preußen auf
prußischer ethnischer Grundlage vor allem gewonnen.“
Letzteres ist durch diese Modellrechnung belegt.
Anlagen
Anlage 1, Wachstum der
Prußen (0,17% jährlich; Kontrollfaktor 10 Jahre: 1,017113)
1400
140000
1650 214062
1656 216255
1660 210834
1701 226039
1707 228354
1500 165918
1651 214426
abzgl.
6849
1670 214445
1702 226423
1708 228743
1510 168760
1652 214790
1656 209406
1680 218119
1703 226808
1520 171651
1653 215155
1657 209762
1685 219979
1704 227194
1523 172528
1654 215521
1658 210119
1690 221855
1705 227580
1530 174591
1655 215888
1659 210476
1700 225655
1706 227967
Daraus lässt
sich auch das Wachstum der anderen Bevölkerungsgruppen
ableiten.
1400 > 1656 ergibt
den Wachstumsmultiplikator 1,5446785
103000 Deutsche x 1,5446785
= 159102 Deutsche in 1656 – 6849 Tatareneinfallopfer
= 152253 Deutsche
1656 > 1708 ergibt
den Wachstumsmultiplikator 1,0923421
152253 Deutsche x 1,0923421
= 166312 Deutsche in 1708
1523 > 1656 ergibt
den Wachstumsmultiplikator 1,2534487
1300 Holländer und Schotten
x 1,2534487 = 1629 Holländer und Schotten in 1656
1656 > 1708 ergibt
den Wachstumsmultiplikator 1,0923421
1629 Holländer und Schotten
x 1,0923421 = 1780 Holländer und Schotten in 1708
1685 >
1708 ergibt den Wachstumsmultiplikator 1,0398401
8000 Hugenotten x 1,0398401
= 8319 Hugenotten in 1708
500 Franzosen
Summe Holländer, Schotten,
Hugenotten, Franzosen in 1708 = 10599
Summe Deutsche etc.
in 1708 = 176911
Anlage 2, Rückrechnung
der Bevölkerung Ostpreußens von 1740 auf 1711
1740
600000
1735 580831
1730 562275
1725 544311
1720 526922
1715 510088
1739
596116
1734 577072
1729 558635
1724 540788
1719 523511
1714 506786
1738
592258
1733 573336
1728 555019
1723 537288
1718 520123
1713 503506
1737
588424
1732 569625
1727 551427
1722 533810
1717 516756
1712 500247
1736
584615
1731 565938
1726 547858
1721 530355
1716 513411
1711 497009
Beispiele für Wachstumsmultiplikatoren:
1711 > 1740
1,2072215
1713 > 1740
1,1916441
1723 > 1740
1,1167195
1734 > 1740
1,0397316
Der Neustamm
der Ostpreußen entwickelte sich auf einem Territorium,
das sehr weit vom Deutschen Reich entfernt lag.
Gemäß einer
1994 gezeichneten französischen Landkarte, die Europa
im Jahr 1000 zeigt, bewohnten die Prußen das Gebiet
nördlich des Königreichs Polen, wobei zum prußischen
Gebiet das Kulmer Land gehörte. Die Westgrenze von Polen
bildete die Oder-Neiße-Grenze, und Usedom und Stettin
liegen dort im Königreich Polen.
Die Prußen
sieht Lothar Kilian zusammen mit Litauern, Letten und
Kuren in der baltischen Völkerfamilie („Zu Herkunft
und Sprache der Prußen, Bonn 1982“).
In seiner
Dissertation „Haffküstenkultur und Ursprung der Balten,
Bonn 1955“ hat Lothar Kilian die These vertreten und
glaubhaft gemacht, dass der baltische Formenkreis der
älteren Bronzezeit (1800-1000 v. Chr.) ursprünglich
von der Persante (Pommern) bis zur Düna reichte. „Insgesamt
hebt sich der Formenkreis zwischen Persante und Düna
durch sechs kennzeichnende Eigenschaften heraus. Es
handelt sich also um eine archäologische Fundprovinz.
Da ihre Wesensmerkmale Grabbrauch, Keramik, Waffen,
Werkzeug und Schmuck erfassen, so liegt hier mehr als
eine Fundprovinz vor: eine Kulturprovinz. Eine Kulturprovinz
kann nur Ausdruck einer Verkehrsgemeinschaft höheren
Grades sein; eine solche setzt aber auch die Existenz
einer Sprachgemeinschaft heraus. Der „Formenkreis“ zwischen
Persante und Düna muss daher als stofflicher Niederschlag
des Bestehens einer sprachlich-völkischen Einheit aufgefasst
werden.“ Kilian bezeichnet die Träger der Haffküstenkultur
zwischen Ostpommern und Düna als „Urbalten“. Im Bereich
der Haffküstenkultur treten baltische Ortsnamen besonders
massiert auf.
„Als vorläufige
Belege wies Kilian auf die Gewässer- und Ortsnamen prußischer
Herkunft hin: Persante, Saulin, Labehn, Labuhn, Powalken,
Straduhn, Rutzau und Karwen, die in den Kreisen Lauenburg,
Putzig sowie bei Konitz, Schönlanke und an der westpreußischen
Ostseeküste liegen. Was den zeitlichen Ursprung dieser
Namen betrifft, nannte Kilian die ältere Bronzezeit
(1800 v. Chr.) als oberste Grenze dieser altbaltischen
Siedlungen. Er wies bei diesen Darlegungen auf die Möglichkeit,
ja Wahrscheinlichkeit hin, im Westen noch auffallende
weitere prußische Flurnamen älteren Datums zu finden,
falls seine Beobachtungen stimmten; und diese prußischen
Flurnamen wurden im Westen in reicher Anzahl gefunden.
Die Spuren prußo-baltischer
Besiedlung sind allerdings in mehrfacher Hinsicht „vom
Winde verweht“ bzw. oft wohl absichtlich verwischt und
ausgelöscht. In den lateinischen Urkunden der Klöster
erscheinen selten prußische Personen- oder Ortsnamen,
meist sind sie durch lateinische oder christliche Taufnamen
ersetzt, während die Ortsnamen oft sogar schon in der
Zeit des Deutschen Ordens slavisiert wurden.“ (Brauer)
Brauer,
Wilhelm Reinhold ist in „Baltisch-prussische Siedlungen
westlich der Weichsel, Münster 1988“ dieser Frage nachgegangen
und verweist darauf, dass vor 1000 v. Chr. und der eigentlichen
Geburtsstunde des prußischen Volkes auch im pommerellischen
Hochland Jahrhunderte lang gesamtbaltische Siedlungen
bestanden haben, die sich vermutlich bis über die Netze
hinaus nach Süden erstreckten. Das zeigen die zahllosen
Flur-, Orts- und Gewässernamen baltischen Ursprungs
in diesem Gebiet. Dass aber viele Benennungen noch auf
litauische Sprachelemente zurückgehen, beweist, dass
der Prozess der Verselbständigung der prußischen Sprache
um diese Zeit noch in vollem Gange ist.
In der Lausitz
liegt bei Cottbus die Ortschaft Sielow. Es gibt im westbaltisch-Prußischen
das Suffix –ow. Nesselmann führt im Thesaurus Linguae
Prussicae auf Seite 160 das Wort sylo, Heide, Fichtenwald,
= Nr. 589 des Elbinger Vocabulars, auf. Liegt hier der
Beweis vor, dass Sielow ein westbaltisch-prussischer
Ortsname ist? Wenn sich vorliegende deutsche, sorbische
und polnische Namen auf baltische bzw. westbaltisch-prußische
Benennungen zurückführen ließen, wären letztere die
ursprünglichen und einwandfrei älteren. Es ist nicht
gut möglich, dass ein Volk, das fast zwei Jahrtausende
früher in diesem Gebiet gesiedelt hat, von einem anderen
Volk, das erst später dorthin gekommen ist, Namen übernommen,
„entlehnt“ oder gar abgeschrieben haben könnte. Für
Fachleute bietet sich ein weites Feld, westbaltisch-prußische
Spuren bis in die Flur-, Orts- und Gewässernamen zu
verfolgen.
Die Prußen/Ostpreußen
verloren schließlich ihr Land, wie aus dem folgenden
geschichtlichen Abriss hervorgeht.
Das große
Universal Lexikon führt aus: „Mit Herzog Mieszko I.
(um 960-992) aus dem Hause der Piasten tritt Polen ins
Licht der Geschichte. Mieszko kam durch seinen Expansionsdrang
in Konflikt mit der Ostpolitik Ottos des Großen. Er
musste die Oberhoheit Ottos anerkennen und sich 966
taufen lassen. 990 unterstellte er sein Land dem Stuhl
Petri, um es dem deutschen Einfluss zu entziehen. Sein
Sohn Boleslaw I. Chrobry (992-1025) bildete zum ersten
Mal ein großpolnisches Reich und konnte seine Herrschaft
über die Lausitz und zeitweise auch über Böhmen und
Mähren ausdehnen. Durch die Errichtung des Erzbistums
Gnesen (1000) mit den Suffragandiözesen Kolberg, Breslau,
und Krakau (später auch Posen) bekam die polnische Kirche
einen eigenen Mittelpunkt, der das weitere Vordringen
Magdeburgs nach Osten verhinderte und die Entwicklung
der polnischen Eigenstaatlichkeit entscheidend förderte.
Boleslaw konnte am Ende seines Lebens sogar die Königskrone
erringen.
Otto I.,
der Große (936-973), schob im Zuge der deutschen Ostkolonisation
im nördlichen und mittleren Osten die Reichsgrenzen
etwa an den Lauf von Oder-Bober-Queis vor.“
Für eine
deutsche Besiedlung der Gebiete fehlte es noch an Menschen.
Das Ziel Ottos I. war vielmehr, die slawische Bevölkerung
zu christianisieren und damit in den abendländischen
Kulturbereich einzubeziehen. (Herzfeld)
Auf seinem
zweiten Italienzug (961-965) erwarb Otto I. in Rom die
Kaiserkrone (2.2.962). Sein dritter Italienzug (966-972)
erbrachte die päpstliche Zustimmung zur Errichtung des
Erzbistums Magdeburg als Missionszentrum des Slawenlandes
(968 realisiert); Suffragane wurden die Mainzischen
Bistümer Brandenburg und Havelberg sowie die neu errichteten
Bistümer Merseburg, Meißen und Zeitz. (Universal Lexikon)
Die deutsche
Ostkolonisation war im Mittelalter die Expansion des
deutschen Machtbereiches, Kultureinflusses und Siedlungsraumes
im Osten von der Saale/Elbe bis zur Weichsel und im
Nordosten an die Küsten der Ostsee bis zum Finnischen
Meerbusen. (Lexikon der Weltgeschichte)
Zu Beginn
des 13. Jahrhunderts verstärkte die Kurie ihre Missionierungsversuche
in Ostmitteleuropa. Sowohl der Gnesener Erzbischof als
auch der Abt von Lekno, der 1215 in Rom zum Missionsbischof
geweiht wurde, sollten das Christentum nach Preußen
bringen, und im Jahre 1217 rief Papst Honorius III.
zum Kreuzzug gegen die Prußen auf. Aber alle diese Bemühungen
blieben vergebens. Als schließlich ein weiterer militärischer
Versuch masowischer Fürsten misslang, die Region zu
unterwerfen, entschloss sich Konrad von Masowien 1226,
den Deutschen Orden zu Hilfe zu rufen. Dieser sollte
den nördlichen Nachbarn nach westlich-christlichem Verständnis
befrieden und christianisieren. (Kossert)
In der oft genannten
Goldbulle von Rimini, jener Urkunde Kaiser Friedrichs
II., die 1226 den Orden autorisierte, seinen Eroberungskrieg
zu beginnen, wird das zu erobernde Land als Gebiet der
Prußen (confinia Prutenorum) und als prußische Gegend
(partes Pruscie) bezeichnet.
Die Teilnahme
am Kreuzzug schien den sichersten Weg in die ewige Seligkeit
zu versprechen: Der Lohn des Kreuzzugs war ein vollständiger
Ablass. Die Voraussetzung für den Ablass waren die Beichte
der Sünden und die Reue sowie eine materielle oder immaterielle
Leistung für die Kirche, hier also die Teilnahme am
Kreuzzug.
Man kennt
die Bitte des Herzogs Konrad von Masowien nur aus der
oft genannten Urkunde Kaiser Friedrichs II. vom Jahre
1226, der Goldbulle von Rimini. Es heißt in der Urkunde,
Herzog Konrad von Masowien habe dem Deutschen Orden
das Kulmer Land und ein benachbartes Gebiet angeboten,
damit dieser es auf sich nehme, das Land Preußen anzugreifen
und zu erobern. Der Deutsche Orden, so heißt es weiter,
habe sich darauf nicht eingelassen, sondern zunächst
den Kaiser gebeten, ihm diese Länder zu verleihen. Das
tut der Kaiser nun, jedenfalls im Hinblick auf das zu
erobernde Preußen, nicht jedoch für das Kulmer Land,
das er, da es dem Herzog von Masowien gehörte, auch
schwerlich einem anderen verleihen konnte. Doch wieso
konnte Friedrich II. dem Orden das zu erobernde Land
der Preußen verleihen?
Die Urkunde gibt eine
Begründung. Sie sagt, das Land gehöre zur „monarchia
imperii“. Doch was heißt das? Das hat noch niemand überzeugend
sagen können, und das dürfte daran liegen, dass es diejenigen,
welche die Urkunde formulierten, gleichfalls nicht wussten,
dass sie einen unklaren Sachverhalt undeutlich formulierten.
An späterer Stelle wird in dem Privileg von 1226 gesagt,
der Hochmeister solle in seinem Territorium alle Herrschaftsrechte
haben wie irgendein Reichsfürst. Wurde damit Preußen
zu einem Teil des Reichs und der Hochmeister zum Reichsfürsten
gemacht? Heute weiß man mit einiger Sicherheit, dass
das nicht der Fall war. Die Stellung eines Reichsfürsten
wird in der Urkunde nur im Sinne eines Vergleichs genannt.
Der Hochmeister wurde kein Reichsfürst und Preußen kein
Teil des Reichs. Andernfalls hätte der brandenburgische
Kurfürst Friedrich III. im Jahre 1701 schwerlich König
werden können. (Boockmann)
Die Verfasser der Urkunde
verstießen gegen den 2000 Jahre alten Rechtsgrundsatz
„Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet.“
Niemand kann mehr Rechte übertragen als er selbst hat.
Drei Jahre
nach Beginn des Krieges gegen die Prußen meldete sich
der Papst zu Worte. Am 3. August 1234 nahm Gregor IX.,
jener Papst also, der des Kaisers entschiedenster Gegner
war, das Land, das der Deutsche Orden erobern würde,
in das Eigentum des heiligen Petrus und übertrug es
dem Deutschen Orden mit der Bindung, dieses Land dürfe
keiner anderen Herrschaft unterstellt werden, also auch
nicht der des Kaisers. Wie passte das zur Urkunde Friedrichs
II., zur Goldbulle von Rimini? Wie vertrugen sich die
„monarchia imperii“ und das nun festgestellte Eigentum
des heiligen Petrus? (Boockmann) Wieder wurde gegen
den uralten Rechtsgrundsatz „Nemo plus iuris transferre
potest quam ipse habet.“ verstoßen.
Seine Eroberungen
hätte der Orden nur mit eigenen Kräften nicht machen
können. Auch jetzt wurden die Kriege gegen die Prußen
zu Kreuzzügen erklärt. Anders als vor einigen Jahren
den polnischen Fürsten gelang es dem Orden aber, diese
Kreuzzugsprivilegien tatsächlich zu nutzen und fürstliche
Kreuzfahrer aus dem Reich zu gewinnen. (Boockmann)
Bis 1283
gelangte das von den Prußen besiedelte Land vollständig
in die Hand des Ordens. Seine Macht erreichte ihren
Höhepunkt unter dem Hochmeister Winrich von Kniprode
(1351- 1382).
In der Schlacht
von Tannenberg erlitt der Deutsche Orden am 15. Juli
1410 durch seinen äußeren Gegner, ein polnisch–litauisches
Heer, eine vernichtende Niederlage. Trotzdem war der
Erste Thorner Frieden von 1411 für den Orden noch relativ
günstig. Bis auf kleinere Gebietsverluste und ein Strafgeld
behielt der Orden sein Territorium.
Der Friede
hielt nicht lange vor. Schon bald brach ein neuer Konflikt
zwischen Polen–Litauen und dem Ordensstaat aus, in dessen
Zentrum der Anspruch beider Seiten auf Sudauen stand
und damit auch auf das spätere östliche Masuren. Nach
erbitterten Kämpfen endete diese Auseinandersetzung
am 27. September 1422 mit dem Frieden von Melnosee.
Der Orden verzichtete auf die von ihm besetzten litauischen
Gebiete und stimmte einer Teilung Sudauens zu. Die Grenzziehung
wurde noch einmal 1435 im Frieden von Brest bestätigt
. Die in den beiden Friedensschlüssen beschriebenen
Grenzverläufe zwischen Masuren und Polen–Litauen – die
polnisch–ostpreußische Südgrenze – erfuhren ihre Bestätigung
und behielten ihre Gültigkeit bis 1939. (Kossert)
Im Inneren
des Ordensstaates war seit der zweiten Hälfte des 14.
Jahrhunderts eine starke Gegnerschaft des ethnisch überwiegend
deutschen Landadels und der Städte herangewachsen. Der
aktive Teil des Adels und der Städte schloss sich am
14. März 1440 im sogenannten „Preußischen Bund“ zusammen,
der ein Sammelbecken opponierender Elemente wurde.
Am 1. Dezember
1453 erfolgte der kaiserliche Rechtsspruch, durch den
der Preußische Bund verurteilt und für nichtig erklärt
wurde.
1454 eskalierte
der Konflikt, da 12 Abgeordnete des
Preußischen Bundes König Kasimir
IV. von Polen (1447 – 1492) offiziell
die oberherrlichen Rechte im
Lande Preußen anboten. Der
König nahm das Angebot an.
Er ließ sich in Anwesenheit des sich gerade in Krakau
befindenden Erzbischofs von Gnesen durch die Bevollmächtigten
des Preußischen Bundes den Eid der Treue und des Gehorsams
leisten. Er nahm das Gebiet des Ordensstaates Preußen
in seinen Besitz und teilte es in vier polnische Woiwodschaften
auf: Thorn, Elbing, Danzig und Königsberg, die er an
die vornehmsten Führer des Preußischen Bundes verlieh
mit dem Recht, an den Wahlen eines künftigen polnischen
Königs teilzunehmen. Alle Lasten, über die der Bund
geklagt hatte, wurden aufgehoben. In aller Form erklärte
dann der König dem Orden am 22. Februar 1454 den Krieg.
Fast das ganze preußische Gebiet wurde vom König von
Polen beziehungsweise in seinem Namen vom Preußischen
Bund in Besitz genommen. Nur die Gebiete um die Marienburg
und Konitz verblieben dem Deutschen Orden.
Der Krieg
dauerte 13 Jahre. Er hat große Zerstörungen und unsägliches
Elend über die Bevölkerung gebracht und ist als „der
schmutzige Krieg“ in die Geschichte eingegangen.
Am 19. Oktober
1466 wurde in Thorn der berühmt-berüchtigte Zweite Thorner
Friede geschlossen. Mit diesem kam nun nicht das Gesamtgebiet
der Ordensstaates an Polen, wie es 1454 vom Preußischen
Bund übertragen worden war, sondern nur der westliche
Teil: das Gebiet westlich der Weichsel (Pommerellen
mit Danzig), aber auch ein Teil östlich der Weichsel,
nämlich das Kulmer Land, das Ermland und ein weiterer
Streifen längs der Weichsel mit Elbing und Marienburg,
insgesamt ein Gebiet, das in etwa der späteren königlich
preußischen Provinz Westpreußen entsprach.
Der Bischof
des Ermlands war 1464 dem Preußischen Bund beigetreten
und machte seinen gesamten Einfluss geltend, dass dieses
Gebiet zu Polen kam.
Der östliche
Teil verblieb dem Orden,
allerdings unter polnischer Oberhoheit!
Das Gebiet sollte mit dem polnischen Staat ebenfalls
fest verbunden werden und mit ihm „einen unteilbaren
Körper, ein Volk“ bilden. Der Hochmeister hatte den
polnischen König als „Herrn und Oberen“ anzuerkennen
und ihm spätestens sechs Monate nach seiner Erhebung
einen persönlichen Treueid zu leisten. Auf der anderen
Seite sollte fortan der Hochmeister im polnischen Reichstag
sitzen als „Fürst und Rat des Reiches zu Polen“. In
der Gildehalle zu Thorn hat daraufhin der Hochmeister
Ludwig von Erlichshausen dem polnischen König Kasimir
IV. den Treueid geleistet. (Sonthofen)
Der Hochmeister
Albrecht von Hohenzollern Markgraf von Brandenburg–Ansbach
trat 1525 zum Protestantismus über und wandelte den
Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum
um, das der Krone Polens
unterstellt war. Am 10. April 1525 schwor
Herzog Albrecht in Krakau dem polnischen König den Lehnseid
und wurde mit dem Herzogtum Preußen belehnt. Albrecht
wurde erblicher Herzog.
Die Nachfolgesicherung
gestaltete sich äußerst schwierig. Der einzige überlebende
männliche Nachkomme Albrechts, sein Sohn Albrecht Friedrich,
erwies sich als regierungsunfähig. Zwar leistete Albrecht
Friedrich 1569 auf dem Reichstag in Lublin dem polnischen
König den Lehnseid, doch erfolgte zur weiteren Absicherung
der Herrschaft die Belehnung seines Vetters Georg Friedrich
von Ansbach und des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg.
Mit Unterstützung des polnischen Königs Stefan Bathory
gelang es aber schließlich dem Letzten aus der Linie
der Ansbacher Hohenzollern, Markgraf Georg Friedrich,
die vormundschaftliche Regierung im Herzogtum zu übernehmen.
1578 erfolgte die offizielle Bestätigung seiner Belehnung
mit dem preußischen Herzogtitel. Der polnische
König wirkte also direkt
bei der Herrschaftssicherung des
Hauses Hohenzollern mit.
Georg Friedrich regierte
das Land bis zu seinem Tod 1603. Noch lebte Albrechts
schwachsinniger Sohn Albrecht Friedrich. Erst als Albrecht
Friedrich 1618 starb, fiel das Herzogtum Preußen an
die Brandenburger Linie der Hohenzollern. Georg Wilhelm,
Kurfürst von Brandenburg (1619-1640), wurde der erste
erbliche Herzog in Preußen. Seine Belehnung durch den
polnischen König erfolgte zwei Jahre später.
Der nächste
Kurfürst von Brandenburg auf dem preußischen Herzogsstuhl
war Friedrich Wilhelm (1640–1688), der Große Kurfürst,
der versuchte, den Einfluss der polnischen Lehnsherrschaft
einzuschränken. Der Kurfürst griff in den schwedisch-polnischen
Krieg um die Ostseeherrschaft (1655-1660) ein, um im
Bund mit den Schweden die polnische Lehnsherrschaft
abschütteln zu können. Dafür musste er zunächst die
schwedische Lehnshoheit in Kauf nehmen, die aber am
20. November 1656 im Vertrag von Labiau aufgelöst wurde.
Danach kämpfte Friedrich Wilhelm auf polnischer
Seite gegen die Schweden und erreichte im
Frieden von Oliva 1660 die
Lösung Preußens aus der
polnischen Lehnshoheit. Da das Herzogtum
Preußen außerhalb des Reichsverbandes stand, trat der
Große Kurfürst in die Reihe der souveränen Fürsten Europas
ein.
Die Politik
Friedrich Wilhelms lässt erkennen, dass er keine klare
deutsche Tradition in Preußen verfolgte, denn er bewarb
sich 1661/62 um die Krone Polens und war dafür sogar
bereit, Brandenburg-Preußen aufzugeben. (Kossert)
Sein Nachfolger
auf dem preußischen Herzogsstuhl war der Kurfürst von
Brandenburg Friedrich III. (1688–1713), der sich 1701
zum König Friedrich I. in Preußen krönte.
Friedrich Wilhelm I.
(1713-1740) bemühte sich, die durch die große Pest (1709-1711)
entstandenen Bevölkerungsverluste in Ostpreußen durch
die Aufnahme von Siedlern auszugleichen. Im Kleinen
Brockhaus von 1950 ist davon die Rede, dass Friedrich
Wilhelm I. von 1722–1740 etwa 29.000 Siedler, besonders
vertriebene Salzburger Protestanten, in Ostpreußen ansiedelte.
Eine neuere Brockhaus Enzyklopädie erwähnt, dass der
Neustamm der Ostpreußen aus Prußen, Litauern, Masuren
und Deutschen entstanden ist. Nach Berechnungen des
Verfassers betrug der Anteil der Prußen im sich bildenden
Neustamm der Ostpreußen 1740
38,5 %. Zusammen mit 12,2 % Litauern machte die
baltische Komponente 50,7 % aus. Der Anteil der Deutschen
und Ausländer belief sich auf 30,5 %, während die Masuren
einen Anteil von 18,8 % erreichten.
Friedrich
Wilhelm I. vermied kriegerische Auseinandersetzungen.
Sein Sohn Friedrich II. (1740-1786) dagegen betrieb
eine andere Politik. Er erhob Ansprüche auf Schlesien.
Als Maria Theresia diese ablehnte, marschierte er in
das beanspruchte Land ohne Kriegserklärung ein. Maria
Theresia musste im Frieden von Breslau 1742 auf Schlesien
verzichten. Friedrich II. brach den Frieden mit Österreich
und erreichte im Frieden von Dresden 1745, dass Maria
Theresia den Verzicht auf Schlesien bestätigte.
Nach 1745
versuchte Friedrich, den Frieden zu erhalten, um seinen
Erwerb in Ruhe mit seinem Staat zusammenwachsen zu lassen.
Aber Österreich gelang es, Verbündete gegen Preußen
zu gewinnen: Elisabeth von Russland, die den Spott Friedrichs
zu spüren bekommen hatte und der Ostpreußen versprochen
wurde; Sachsen, der beständige Rivale Preußens, stellte
sich bereitwillig auf die Seite von dessen Gegnern.
Schließlich steht eine Koalition zwischen Österreich,
Frankreich, Sachsen, Russland und Spanien, später schließen
sich noch Schweden und das deutsche Reich an. Der preußische
König glaubte, im Jahre 1757 angegriffen zu werden und
entschloss sich deshalb im Jahre davor zum Präventivkrieg.
Ohne Kriegserklärung fiel er in Sachsen ein. Für Ostpreußen
brachte die Politik von Friedrich II. eine Katastrophe:
Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) stand die gesamte
Provinz von 1758 bis zum Kriegsende unter russischer
Hoheit.
1772 erfolgte
unter Federführung Friedrichs II. mit der ersten Teilung
Polens die Annexion des Ermlands und Westpreußens durch
Preußen, allerdings ohne Danzig und Thorn, die bei Polen
verblieben.
Im Vergleich
zu seinen starken Vorgängern machte Friedrich Wilhelm
II. (1786–1797) eine wenig überzeugende politische Figur.
Mit der Annexion der benachbarten polnischen Gebiete
erweiterte er Preußen durch die zweite und dritte Teilung
Polens 1793 und 1795. Neben Danzig und Thorn verleibte
sich Friedrich Wilhelm II. auch Großpolen sowie die
alten masowischen Territorien südlich der masurischen
Grenze ein. Damit befand sich die ursprüngliche Heimat
der Masuren als Provinz Neu-Ostpreußen in preußischer
Hand. (Kossert) Natürlich war dadurch auch Warschau,
seit Mitte des 16. Jahrhunderts die Hauptstadt Polens,
ab 1795 an Preußen gefallen. Die drei Teilungen Polens
waren krasse Verstöße gegen den uralten Rechtsgrundsatz:
„Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet.“
Sein Nachfolger
Friedrich Wilhelm III. (1797–1840) erklärte Napoleon
den Krieg, was zur preußischen Niederlage bei Jena und
Auerstedt 1807 und zur Besetzung Ostpreußens führte.
Im Frieden von Tilsit
verlor Preußen 1807 alle bei der zweiten und dritten
Teilung Polens erhaltenen Gebiete.
Laut Statistik
haben in den Jahren 1840–1910 über 739.000 Ostpreußen
das Land ihrer Väter verlassen. Sie suchten bessere
Verdienstmöglichkeiten im Ruhrgebiet und in Berlin,
gingen dem ostpreußischen Neustamm verloren und wurden,
wenn nicht sie, dann ihre Kinder, zu Rheinländern, Westfalen
oder Berlinern.
Im ersten Weltkrieg
drängte das russische Nordheer die schwache deutsche
Verteidigung Ostpreußens bis in die Gegend von Königsberg
zurück. Bei der militärischen Planung wurde die Sicherung
Ostpreußens (wie im Siebenjährigen Krieg!) vernachlässigt.
Erst die Vernichtung der Narew–Armee bei Tannenberg
(23.–31. August 1914) und der Sieg über die Njemen–Armee
bei den masurischen Seen (Anfang September 1914) befreite
die ostpreußische Bevölkerung von den Besatzern.
Der Versailler
Vertrag trat am 10. Januar 1920 in Kraft. An Polen fiel
der Hauptteil der Provinzen Posen und Westpreußen. Dadurch
entstand der „Polnische Korridor“, und Ostpreußen wurde
von der unmittelbaren Verbindung zum Mutterland abgeschnitten.
Polen erhielt wieder den 1772 verlorenen Zugang zur
Ostsee.
Ostpreußen
verlor durch den Versailler Vertrag das Gebiet Soldau
an Polen, während das der Verwaltung der alliierten
Hauptmächte unterstellte Memelgebiet später von litauischen
Freischärlern besetzt und mit Litauen vereinigt wurde
(1923). Volksabstimmungen waren vorgesehen für die ost-
und westpreußischen Bezirke Allenstein und Marienwerder
sowie für Oberschlesien (Art. 88). Danzig wurde als
Freie Stadt unter den Schutz des Völkerbundes gestellt.
Seine Vertretung in auswärtigen Angelegenheiten wurde
Polen übertragen. Die Freie Stadt wurde in das Polnische
Zollgebiet eingegliedert (Art. 100 ff.).
Ostpreußen
hatte seit Inkrafttreten des Versailler Vertrages mit
einem besonderen Standortnachteil zu kämpfen: Der teure
Transport durch den polnischen Korridor ließ die ostpreußischen
Verkaufspreise trotz Transportsubventionen über die
der Anbieter in den west- und mitteldeutschen Absatzgebieten
steigen, und auch der Import landwirtschaftlicher Industrieerzeugnisse
aus dem Reich verteuerte sich erheblich. Viele
Landwirte verschuldeten sich. Da
die Reinerträge nach 1918 stark sanken, waren die finanziellen
Verbindlichkeiten bald nicht mehr aus den Erträgen zu
decken. (Kossert)
Durch polnische
Angriffe auf die Ukraine (Einnahme von Kiew) kommt es
1920 zum offenen Ausbruch eines russisch–polnischen
Krieges. Die rote Armee erreicht in stürmischer Offensive
die Tore von Warschau. Mit Hilfe französischer Offiziere
(des ehemaligen Stabschefs Foch und des Generals Weygand),
von Krediten und Materiallieferungen erringt Marschall
Pilsudski in der Schlacht von Warschau (August 1920)
einen Sieg, der das russische Heer zu fluchtartigem
Rückzug zwingt. Der Friede von Riga (März 1921) lässt
Russland im Besitz der Ukraine, schiebt aber die polnische
Ostgrenze 150 km über die Curzonlinie, (die im Versailler
Vertrag vorgesehen war !) in weißrussisches Gebiet vor.
(Herzfeld)
Die Volksabstimmung
in Masuren brachte am 11. Juli 1920 einen Anteil von
99,32 % Stimmen für „Ostpreußen“ und von 0,68 % Stimmen
für „Polen“. Im Kreis Oletzko zählte man nur zwei Stimmen
für Polen.
Nach dem
Sturz der Hohenzollern 1918 forderte zunächst die revolutionäre
„vom Vertrauen der Soldatenräte getragene vorläufige
Regierung“ ein Aufgehen Preußens im Reich, doch es setzte
sich in der 1919 gewählten preußischen Landesversammlung,
in welcher die SPD die stärkste Partei war, der Wille
zur Eigenstaatlichkeit durch. Die Versammlung verabschiedete
1920 nach lebhaften Auseinandersetzungen die Verfassung
des Freistaates Preußen. Während die Reichsregierung
in der Folgezeit von häufig wechselnden Koalitionen
überwiegend bürgerlicher Parteien getragen wurde, hatte
in Preußen die SPD mit Ministerpräsident Braun und Innenminister
Severing eine feste Stellung. Nach dem Wahlsieg der
NSDAP im April 1932 blieb das Kabinett Braun als geschäftsführende
preußische Regierung im Amt. Im Juli 1932 wurde jedoch
Reichskanzler v. Papen zum Reichskommissar für Preußen
ernannt und die bisherigen Minister wurden entlassen.
Im April 1933 wurde Göring preußischer Ministerpräsident.
Im Vollzug der Gleichschaltung der Länder erfolgte im
Oktober 1933 die Auflösung des preußischen Landtags.
Die preußischen Ministerien wurden mit Ausnahme des
Finanzministeriums mit den Reichsministerien zusammengelegt.
(Universal Lexikon)
Am 26. Januar
1934 schlossen Polen und das Deutsche Reich ein Nichtangriffsabkommen
für 10 Jahre ab. Hitler gab damit die während der Zeit
der Weimarer Republik eingehaltene Politik des guten
Einverständnisses mit der Sowjetunion auf. Das hatte
zur Folge, dass sich die Sowjetunion aus Misstrauen
gegenüber Deutschland und Polen den Westmächten annäherte.
Ein Nichtangriffspakt
wurde am 23. August 1939 zwischen dem Deutschen Reich
und der Sowjetunion abgeschlossen. In einem geheimen
Zusatzprotokoll verständigten sich die Vertragspartner
über ihre Interessensphären im Osten, wobei polnische
Gebietsteile östlich von Narew, Weichsel und San der
Sowjetunion zugesprochen wurden.
Seit dem
17. September 1939 begann die Sowjetunion mit ihrem
Einmarsch in Ostpolen, nachdem am 1. September 1939
deutsche Truppen die polnische Grenze überschritten
hatten. In Ergänzung zum Nichtangriffspakt vom 23. August
wurde der Sowjetunion auch Litauen als Interessensphäre
zugesprochen, während das Deutsche Reich das Gebiet
zwischen Weichsel und westlichem Bug erhielt. Am 8.
Oktober 1939 wurden dem Reich die im Versailler Vertrag
abgetretenen Provinzen wieder eingegliedert. Das übrige
Polen, soweit es nicht der Sowjetunion zugeschlagen
wurde, wurde am 25. Oktober 1939 als Generalgouvernement
eingerichtet.
Ohne Kriegserklärung
marschierten am 22. Juni 1941 deutsche Truppen in die
Sowjetunion ein.
Auf der
Krim–Konferenz in Jalta im Februar 1945 trafen sich
Stalin, Roosevelt und Churchill, um sich angesichts
des nahen Zusammenbruchs Deutschlands über die Neuordnung
Europas nach dem Kriege zu verständigen. Die Alliierten
beschließen, dass die polnische Ostgrenze der 1919 vorgeschlagenen
Curzonlinie folgen soll. Über die Westgrenze wird keine
endgültige Regelung getroffen. Churchill und Roosevelt
denken an die Oder, Stalin wünscht die Oder–Neiße–Linie
als Grenze. Auch die provisorische polnische Regierung
beansprucht die Oder–Neiße–Linie als Westgrenze und
richtet im März 1945 die fünf Woiwodschaften Masuren,
Oberschlesien, Niederschlesien, Pommern und Danzig ein.
Die damit verbundene Vertreibung der deutschen Bevölkerung
hatte Churchill schon am 15. Dezember 1944 mehr oder
weniger gebilligt, als er im Unterhaus davon sprach,
in Polen „reinen Tisch“ zu machen.
Auf der
Potsdamer Konferenz vom 17. Juli–2. August 1945 treffen
sich Stalin, Truman und Churchill, der am 26. Juli nach
der Wahlniederlage vom neuen Premierminister Clement
Attlee abgelöst wird. Dabei treten die verschiedenen
Interessen der Alliierten offen zutage. Die meisten
Fragen bleiben ungelöst, sie werden an einen Rat der
Außenminister überwiesen. Unter anderem soll er einen
Friedensvertrag für Deutschland entwerfen. Auf der Konferenz
erkennen die westlichen Alliierten die polnische Verwaltung
der ehemaligen deutschen Ostgebiete bis zu Oder–Neiße–Linie
an und stimmen der Vertreibung von noch etwa 5,6 Millionen
Deutschen aus den Ostgebieten zu. Die endgültige Festlegung
der deutsch–polnischen Grenze wird allerdings einem
Friedensvertrag vorbehalten. Da die deutschen Ostgebiete
nicht mehr als sowjetische Besatzungszone, sondern als
polnisches Staatsgebiet gelten, werden sie der Zuständigkeit
des Kontrollrates entzogen. Das nördliche Ostpreußen
und Königsberg werden der Sowjetunion bei einem künftigen
Friedensvertrag zugesichert.
Durch die
Vertreibung der Neustämme der Pommern, Schlesier und
Ostpreußen aus den Ostgebieten wurde die deutsche
Ostkolonisation auf den Zeitpunkt
„Anfang 13. Jahrhundert“ auf der
Potsdamer Konferenz zurückgedreht. Der Neustamm
der Ostpreußen verlor dabei das Heimatland der Prußen,
seiner Urbevölkerung.
Auf der
Konferenz in Moskau vom 10. März–24. April 1947 trifft
sich der Rat der Außenminister. Die westlichen Alliierten
betrachten die Oder–Neiße–Linie als Provisorium, obwohl
sie anerkennen, dass Polen für seine Gebietsabtretungen
an die UdSSR Entschädigungen erhalten müsse.
Am 26. Mai
1952 wird in Bonn der Deutschlandvertrag zwischen den
westlichen Alliierten und der Bundesrepublik Deutschland
unterzeichnet. Die Grenzfrage, auch die Oder–Neiße–Linie,
wird bis zu Regelung durch einen Friedensvertrag offengehalten.
Im Londoner
Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 übernimmt die
Bundesrepublik Deutschland die Auslandsschulden des
Deutschen Reiches sowie die Kosten, die den Alliierten
in ihrer Besatzungszone entstanden waren. Sie verpflichtet
sich, insgesamt 14,3 Milliarden DM in Jahresraten zurückzuzahlen.
Am 9. September
1955 fährt Bundeskanzler Adenauer auf Einladung der
sowjetischen Regierung nach Moskau. Die Bundesrepublik
besteht darauf, dass mit der Aufnahme diplomatischer
Beziehungen zur UdSSR und mit der sowjetischen Anerkennung
der Souveränität der Bundesrepublik nicht die Anerkennung
der bestehenden Grenzen verbunden sei. Die Grenzen Deutschlands
würden erst in einem Friedensvertrag endgültig festgelegt.
Zugleich betont sie ihren Alleinvertretungsanspruch
für alle Deutschen.
Am 7. Dezember
1970 unterzeichnen Bundeskanzler Brandt und der polnische
Ministerpräsident Cyriankiewicz den deutsch–polnischen
Vertrag, in dem die Bundesrepublik die Oder–Neiße–Grenze
anerkennt.
Mit einfacher
Mehrheit werden am 17. Mai 1972 die Ostverträge vom
deutschen Bundestag in dritter Lesung angenommen. Sowohl
für den deutsch–sowjetischen als auch für den deutsch–polnischen
Vertrag stimmen nur 248 Abgeordnete. Die Gesamtzahl
der Abgeordneten betrug 496. Einen Tag vor der Abstimmung
über die Vertragswerke hatte die SPD/FDP–Koalition mit
dem Ausscheiden des SPD–Abgeordneten Günther Müller
aus der Partei die Mehrheit im Parlament verloren. Fast
alle Mitglieder der CDU/CSU–Fraktion enthalten sich
der Stimme zu beiden Verträgen. Am 19. Mai werden die
Verträge vom Bundesrat bei Stimmenthaltung der von der
CDU/CSU regierten Länder gebilligt.
Der Vertrag
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Polen vom 14. November 1990 über die Bestätigung der
zwischen ihnen bestehenden Grenzen und der Zwei–plus-vier–Vertrag
(Bundesrepublik Deutschland/Deutsche Demokratische Republik
plus vier Besatzungsmächte) schaffen die volle staatliche
Souveränität der vergrößerten Bundesrepublik Deutschland.
Gleichzeitig wird auf eine spätere Einbeziehung der
Gebiete Ostdeutschlands jenseits von Oder und Neiße
verzichtet. Der deutsch–polnische Grenzvertrag vom 14.
November 1990 wird mit großer Mehrheit am 17. Oktober
1991 vom Deutschen Bundestag bestätigt.
Nach einer
dpa – Meldung wird im Juli 1992 die Anerkennung der
Oder–Neiße–Grenze im deutsch–polnischen Grenzvertrag
vom November 1990 als verfassungsgemäß angesehen. Nach
einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verletzt
der Vertrag nicht die Grundrechte der nach 1945 jenseits
der Oder–Neiße–Grenze Vertriebenen. Vielmehr bestätige
er nur „die jedenfalls faktisch seit langem zwischen
Deutschland und Polen bestehende Grenze“. Bei dem Vertrag
handele es sich lediglich um eine völkerrechtliche Bestimmung
der „territorialen Zuordnung eines Gebietes zu einem
Staat“, nicht dagegen um eine hoheitliche Verfügung
über privates Eigentum (Az.: BVR 1613/91).
Am 5. August
1950 verabschiedeten die erwählten Vertreter von Millionen
Heimatvertriebenen die Charta der deutschen Heimatvertriebenen
und verzichteten auf Rache und Vergeltung. „Wir werden
durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau
Deutschlands und Europas.“
Die Charta enthält u.a.
die Forderungen: Sinnvoller Einbau aller Berufsgruppen
der Heimatvertriebenen in das Leben des deutschen Volkes.
Tätige Einschaltung der deutschen Heimatvertriebenen
in den Wiederaufbau Europas.
Die Situation
der Heimatvertriebenen wird im „Grundriß der Geschichte“
von Prof. Dr. Hans Herzfeld, Stuttgart 1954, beschrieben:
„Eine der schwersten Belastungen des deutschen Lebens
nach Kriegsende wurde in Potsdam dadurch geschaffen,
dass die Verbündeten beschließen, die deutsche Bevölkerung
aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn nach Deutschland
umzusiedeln. Diese gigantische Zwangsumsiedlung ruft
das Flüchtlingsproblem der Gegenwart hervor. Die Zahl
der heimatvertriebenen Reichsdeutschen aus Ostpreußen,
Schlesien und Pommern beläuft sich auf 5,5 Millionen,
die der Volksdeutschen auf 3,9 Millionen, das sind zusammen
9,4 Millionen Flüchtlinge. 1950 sind in den drei westlichen
Besatzungszonen von 47,7 Millionen Einwohnern 6,7 Millionen
Heimatvertriebene und Zugewanderte. Dazu kommen bis
Ende 1951 weitere 1,7 Millionen Menschen, die entweder
nicht in die Ostzone zurückgekehrt oder aus dieser geflohen
sind. Die Eingliederung dieser Menschen in das Wirtschaftsleben
Westdeutschlands ist ungeheuer schwierig und wird trotz
aller Anstrengungen eine Notlösung bleiben.“
Die Regierung
Adenauer meinte jedoch, 1957 eine positive Bilanz ziehen
zu müssen : „Nur noch 2,8% der Flüchtlinge und Vertriebenen
waren am 31.12.1956 arbeitslos. Aus dem Lastenausgleich
und der Soforthilfe wurden bis zum 31.3.1957 über 22
Milliarden DM ausgezahlt. Über 47% der gesamten Sozialleistungen
des Bundes in den letzten sieben Jahren entfielen auf
Vertriebene und Flüchtlinge.“
Der Lastenausgleich
war jedoch nicht nur eine Leistung des Bundes für die
Heimatvertriebenen. Nach der Statistik des Bundesausgleichsamtes
im Amtlichen Mitteilungsblatt vom 8.4.1960 wurden im
ganzen Bundesgebiet 9.528.300 Schäden angemeldet. Davon
sind 5.145.300 heimatvertriebene Geschädigte, die restlichen
4.383.000 jedoch Kriegssach- und Ostgeschädigte.
Der
Lastenausgleich sollte diejenigen entschädigen, die
durch den Krieg besonders viel oder gar alles verloren
hatten. Zahlen sollten jene, die sich ohne große materielle
Verluste über die Kriegsjahre retten konnten. Am wichtigsten
war die sogenannte „Vermögensabgabe“: Jeder Bürger musste
50% seines Vermögens an den Staat abführen. Stichtag
war der Tag der Währungsreform, der 21. Juni 1948. Die
Abgabe musste über 30 Jahre verteilt bezahlt werden.
Wer beispielsweise am 21.6.48 ein Vermögen von 100.000
DM besaß, musste bis zum 31. März 1979 (dem gesetzlich
festgelegten Abschlussdatum) in vierteljährlichen Raten
insgesamt 50.000
DM bezahlen. Wegen des ungewöhnlich langen Zeitraumes
konnte die Abgabe in der Regel aus dem Vermögenszuwachs
beglichen werden.
Die Millionen
Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die nach der Volkswirtschaftslehre
die Produktionsfaktoren Kapital und Boden (Natur) zurücklassen
mussten, waren in ihrem neuen Wirtschaftsraum ausschließlich
auf den Produktionsfaktor Arbeit (geistige und physische
Arbeit) angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Ihre Arbeitskraft hat zum wirtschaftlichen Aufschwung
der Bundesrepublik entscheidend beigetragen. Dabei wurde
die stark zerstörte westdeutsche Wirtschaft nach der
Währungsreform von 1948 zum größten Teil durch Selbstfinanzierung
aufgebaut. Der Betriebswirtschaftler Dr. Josef Löffelholz
schrieb zu diesem Thema: „Die Erlöse aus dem Verkauf
der großen Warenlager, die vor der Währungsreform gehortet
waren, wurden zu einem sehr erheblichen Teil investiert.
Das überhöhte Preisniveau gab gleichfalls große Möglichkeiten
zur Selbstfinanzierung. Die Preise wurden zwar laufend
gesenkt, aber nicht den sinkenden Kosten entsprechend.
Die Gesetzgebung hat die Selbstfinanzierung zudem noch
durch zahlreiche Möglichkeiten der Steuerbegünstigung
sehr stark gefördert. Die Nachteile liegen auf der Hand.
Die Unternehmer versuchten, ihren dringenden Kapitalbedarf
möglichst schnell und unmittelbar aus dem Umsatz zu
decken. Das setzte überhöhte Preise und die Belastung
der Kalkulation mit Scheinkosten voraus. Eine derartige
Preispolitik wurde durch den sehr hohen Bedarf der Konsumenten
an allen lebensnotwendigen Verbrauchsgütern ermöglicht.
Die Preise erhielten also eine z. T. recht erhebliche
„Sparquote“, die der Wirtschaft die Selbstfinanzierung
ermöglichte. Es war eine Art Zwangssparen: Die Wirtschaft
zwang den Verbraucher, im Preise eine unverzinsliche,
nicht rückzahlbare „Sparquote“ an ihn abzuführen“.
Die Heimatvertriebenen
und Flüchtlinge haben wie die anderen Arbeitnehmer in
der Bundesrepublik nicht in genügendem Maße an der Produktivvermögensbildung
in Arbeitnehmerhand teilgenommen. Dabei war die Entwicklung
der zurückliegenden zwei Jahrzehnte – stagnierende Kaufkraft
aus abhängiger Beschäftigung bei kräftig sprudelnden
Vermögenseinkommen – lange absehbar. In DIEWOCHE vom
15. August 1997 schrieb Herbert Ehrenberg, von 1976
bis 1982 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung:
„Von 1980 bis 1995 stiegen das reproduzierbare Sachvermögen
um 286 Prozent, das private Geldvermögen um 213 Prozent,
das Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen
um 209 Prozent, die Netto-Lohn-und–Gehaltssumme indes
nur um 92 Prozent. Die Zahlen zeigen, dass sich die
Vermögensverteilung seit 1963 nicht verbessert hat.
Damals stellte Professor Föhl fest, dass auf 17 Prozent
der Haushalte 75 Prozent des privaten Vermögens entfallen.“
Wer nichts als seine Arbeitskraft anzubieten hat, steht
zunehmend auf der Verliererseite. Wer hingegen Wissen
und/oder Kapital produktiv nutzen kann, nimmt am Wachstum
der Wirtschaft meist überproportional teil.
Seit der
verabschiedeten Charta der deutschen Heimatvertriebenen
sind inzwischen 55 Jahre vergangen, eine Zeitspanne,
die der Deutsche Orden in etwa benötigte, in einem Landnahmekrieg
die Prußen zu unterwerfen und zu zwangschristianisieren.
Der Neustamm der Ostpreußen, der vor allem auf prußischer
Grundlage entstand, hat 55 Jahre friedlich am Wiederaufbau
Deutschlands und Europas mitgewirkt. Statt der „deutschen
Ostkolonisation“ gibt es jetzt die Europäische Union.
Statt Siedlungsraum von der Saale/Elbe bis zur Weichsel
und im Nordosten an den Küsten der Ostsee bis zum Finnischen
Meerbusen zu suchen, sind die Neustämme der Pommern
und Schlesier (entstanden auf ethnischer slawischer
Grundlage) und der Neustamm der Ostpreußen (vor allem
auf ethnischer prußischer Grundlage entstanden) auf
das Gebiet der teilvereinigten Bundesrepublik Deutschland
beschränkt. Von hier aus können sie 60 Jahre nach der
Potsdamer Konferenz, die ihnen und ihren Eltern eine
Vertreibung aus Ostdeutschland, bzw. dem Sudetenland
oder Ungarn brachte – im Artikel 13 des Potsdamer Abkommens
wurde allerdings von einem „Transfer“ gesprochen, der
„ordnungsgemäß und in humaner Weise“ durchgeführt werden
sollte – registrieren, wie der Streit („Briten-Rabatt“/Agrarsubventionen)
um die künftige Finanzierung des größer werdenden EU-Haushalts
aufgrund der beigetretenen vier Länder an den Küsten
der Ostsee bis zum Finnischen Meerbusen, nämlich Polen,
Litauen, Lettland und Estland, und der anderen sechs
Länder Malta, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn
und Zypern eskalierte.
Dabei gibt
es doch eine faire Messgröße für die wirtschaftliche
Leistungskraft einer Volkswirtschaft, nämlich das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt
in Kaufkraftparitäten der EU-15-Länder!
Beitrittsjahr
Wert 1995
% vom Rang
Wert 2004
% vom Rang
Status %
des
Durch-
Durch-
BSP2003
schnitt
schnitt
1958
Luxemburg
28.100 Euro
159,7
1
48.000 Euro
183,7
1
NZ*
0,28
1995
Österreich
20.300 Euro
115,3
2
27.100 Euro
103,7
4
NZ
0,15
1973
Dänemark
19.700 Euro
111,6
3
27.200 Euro
104,1
3
NZ
0,11
1958
Deutschland 19.300 Euro
109,3
4
24.000 Euro
91,9
11
NZ
0,36
1958
Niederlande
18.900 Euro
107,0
5/6
26.700 Euro
102,2
5
NZ
0,43
1958
Belgien
18.900 Euro
107,0
5/6
26.300 Euro
100,7
7
NZ
0,28
1995
Schweden
18.600 Euro
105,3
7
25.900 Euro
99,1
8
NZ
0,36
1958
Frankreich
18.300 Euro
103,6
8
24.700 Euro
94,5
10
NZ
0,12
1958
Italien
18.200 Euro
103,1
9
23.500 Euro
89,9
12
NZ
0,06
1973
Großbritann. 17.400 Euro
98,5
10
26.500 Euro
101,4
6
NZ°
0,16
1995
Finnland
16.600 Euro
94,0
11
25.600 Euro
98,0
9
NZ
0,01
1973
Irland
13.800 Euro
78,1
12/13 29.900 Euro
114,4
2
NE** 1,40
1986
Spanien
13.800 Euro
78,1
12/13 21.800 Euro
83,4
13
NE
1,21
1986
Portugal
11.500 Euro
65,1
14/15 16.400 Euro
62,8
15
NE
2,66
1981
Griechenl.
11.500 Euro
65,1
14/15 18.300 Euro
70,0
14
NE
2,22
*Nettozahler
**Nettoempfänger
°Großbritannien erhält seit 1984 einen Beitragsrabatt
Quelle:
Eurostat, Eigene Berechnungen des Rheinischen Merkurs
vom 21. Juli 2005; Werte gerundet
Zum Vergleich:
Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt
in Kaufkraftparitäten in % vom Durchschnitt der EU-15-Länder
in 2003
Zypern
78
Slowenien
70
Malta
69
Tschechien
63
Ungarn
55
Slowakei
49
Polen 43
Estland
42
Litauen
41
Lettland
37
Quelle: Eurostat
Aus diesen Werten lässt
sich leicht ableiten, dass
a)
Irland seine Position als Nettoempfänger
schnellstens zugunsten der neuen baltischen und slawischen
Mitgliedsländer der Europäischen Union räumen sollte
b)
Deutschland und die Niederlande – im Vergleich
zu anderen Nettozahlern – überproportional stark zur
Ader gelassen wurden
c)
unter britischer EU-Präsidentschaft in
der zweiten Jahreshälfte 2005 durchaus die Möglichkeit
besteht, die Finanzierung der Erweiterung der
EU fairer als bisher vorgesehen zu gestalten!
Literatur:
Baumann, Karl, Die Prußen,
Leer 1991
Beheim-Schwarzbach, M., Hohenzollernsche Kolonisation,
Leipzig 1874
Beheim-Schwarzbach, M., Friedrich Wilhelms I. Kolonisationswerk
in Litauen, vornehmlich die Salzburger Kolonie, Königsberg
1879
Boockmann, Hartmut, Deutsche Geschichte im Osten Europas,
Ostpreußen und Westpreußen, Berlin 1992Brauer, Wilhelm
Reinhold, Baltisch-prußische Siedlungen westlich der
Weichsel, Münster 1988
Dollinger, Hans, Preußen,
Prisma Verlag 1985
Gause, Fritz, Ostpreußen, Burkhard-Verlag
Grenz, Rudolf, Stadt und Kreis Gumbinnen, Marburg 1971
Das große Universal Lexikon, München 1974
Harder, Hans-Bernd, Slawen und Balten in Deutschland,
Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn 1989
Hermanowski, Georg, Ostpreußen Lexikon, Augsburg 1998
Herzfeld, Hans, Grundriß der Geschichte, Stuttgart 1954
Higounet, Charles, Die dt. Ostsiedlung im Mittelalter,
Berlin 1986
Kilian, Lothar, Haffküstenkultur und Ursprung der Balten,
Bonn 1955
Kilian, Lothar, Zu Herkunft und Sprache der Prußen,
Bonn 1982
Kossert, Andreas, Masuren Ostpreußens vergessener Süden,
Siedler Verlag, Berlin 2001
v. Krockow, Chr. Graf, Begegnung mit Ostpreußen, München
1995
Lexikon der Weltgeschichte, Gondrom Verlag, Bindlach
1985
Löffelholz, Josef, Repetitorium der Betriebswirtschaftslehre,
Wiesbaden 1967
Müller, Otto Heinrich, Deutsche Geschichte in Kurzfassung,
Frankfurt 1950
Nesselmann, G.H.F., Thesaurus Linguae Prussicae, Berlin
1873
Schumacher, Bruno, Geschichte Ost- und Westpreußens,
Würzburg 1959
Skalweit, A., Die ostpreußische Domänenverwaltung unter
Friedrich Wilhelm I. und das Retablissement Litauens,
Leipzig 1906
Sonthofen, Wolfgang, Der Deutsche Orden, Weltbild Verlag,
Augsburg 1995
Stahl, F., Nassauische Bauern und andere Siedler in
Ostpreußen, Namenslisten aus dem 18. Jahrhundert, Königsberg
(Pr.) 1936
Stamm, Hans-Ulrich, Frag mich nach Ostpreußen, Leer
1974
Straub, Eberhard, Weltgeschichte im 20. Jahrhundert,
München 1985
Territorien-Ploetz, Geschichte der deutschen Länder,
Verlag Ploetz, Würzburg 1964
Terveen, Fritz, Gesamtstaat und Retablissement, Diss.
Göttingen 1954
Trautmann, Reinhold, Die altpreußischen Personennamen,
Göttingen 1974
Wank, Otto, Bevölkerungsfluktuation zwischen Ostpreußen
und den Nachbarländern vom 16. bis 18. Jahrhundert,
Altpreußische Geschlechterkunde, Band 24, 1994
Wenskus, Reinhard, Der deutsche Orden und die nichtdeutsche
Bevölkerung des Preußenlandes, in: Die deutsche Ostsiedlung
des Mittelalters, hrsg. von W. Schlesinger, Sigmaringen
1975
In eigener
Sache: Der Verfasser hat seinen Personennamen
untersucht.
Name des Großvaters
väterlicherseits: Jurkat (1843 noch Jurkatis);
Name der Großmutter väterlicherseits: Ziemek (zurückführbar
auf die altpreußischen Personennamen Symeke, Symeko,
Symke nach Trautmann S. 92);
Name des Großvaters mütterlicherseits: Rosteck (zurückführbar
auf die altpreußischen Personennamen
Rusteyko, Rusteyke nach Trautmann S. 84);
Name der Großmutter mütterlicherseits: Block.
Damit ist die überwiegend baltische Abstammung belegt. |