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Altpreußische Hochzeit in Natangen
von Gustav Tolkmitt
(Quelle: Tolkemita 08/1983)

Theysote, der Sohn'des alten Zanthone, war ins heiratsfähige Alter gekommen. Sein Vater hielt darauf Umschau unter den Töchtern des Landes, um eine von ihnen zu erwählen, die würdig genug war, von ihm als Weib für seinen Sohn erkauft zu werden. Die Wahl fiel auf Namego, die schöne Tochter des Wodune, der unweit der natangischen Lischke Gerkin sein Anwesen hatte. Nachdem die Väter über den Kaufpreis einig geworden waren, wurde das junge Paar an einer heiligen Stätte des Gaues einander zugesprochen. Bei dieser Handlung war es unter anderem Sitte, daß die junge Braut ihren Zukünftigen bat, sie in der Ehe nicht mehr zu prügeln, als sie wirklich verdient habe. Nachdem die Trauhand¬lung beendet war und Theysote seiner Braut als Brautgeschenk eine Borte und einen Mantel übergeben hatte, versammelte Namego ihre Freundinnen — Frauen und Jungfrauen — um sich und stimmte mit ihnen ein Klagelied an, Eltern, Vieh und Feuer bejammernd, die sie nun ungepflegt und ungewartet zu Hause zurücklasse:

Prußischer Originaltext:

O hu-e! hu-e! ho!
Kas wirst maiasmu tewikai,
kas wirst maiasmu mutikai
stan lastikan keiku-uns, stans
najikans aumu-uns!
O hu-e! hu-e! ho!

O hu-e! hu-e! ho!
Mai mili guri kattika,
mai mili guri sunnika!
Kas jumus idin da-uns,
kas labba wirst seggi-uns!
O hu-e! hu-e! ho!

O hu-e! hu-e! ho!
Gertistiai! Eristiai!
O wersi, klenti, kaiwikai!
Kas jumus perdin da-uns,
kas labba wirst seggi-uns!
O hu-e! hu-e! ho!

O hu-e! hu-e! ho!
Mai mili swinti pannika!
Kas wirst stan sausan lukkikin
prei twaisan pist pelannan,
kas dabber tin pokuntuns!
O hu-e! hu-e! ho!

Deutsche Übersetzung:

O weh!, o weh! o weh!
Wer wird nun meinem Väterlein,
wer wird nun meinem Mütterlein
ihr weiches Bettlein machen
und ihre Füße waschen!
O wehl o weh! o weh!

O weh! o wehl o weh!
Mein liebes, armes Kätzelein,
mein liebes, armes Hündelein!
Wer wird euch Essen geben,
wer wird euch Gutes tun!
O wehl o weh! o weh!

O wehl o weh! o weh!
O Hühneleinl O Schäfelein!
Ihr Kälber, Küh' und Pferdelein!
Wer wird euch Futter geben,
wer wird euch Gutes tun!
O weh! o weh! o wehl

O weh! o weh! o weh!
Mein liebes heilig Feuerlein!
Wer wird das trockne Holzelein
zu deinem Herdchen tragen und
wer wird dich behüten!
O weh! o wehl o weh!

Nach diesem Klagelied sandte der Bräutigam einen Wagen, die Braut heimzufahren. Als diese nun die Grenze des Anwesens ihres jungen Ehemannes erreicht hatte, kam ihr ein Mann entgegen, der in der einen Hand einen lodernden Feuerbrand schwenkte und ihr in der anderen Hand ein volles Trinkgefäß entgegenhielt. Dreimal umrannte er erst den Wagen, dann der jungen Frau das Getränk überreichend, rief er ihr zu: „Wie sonst in deines Vaters Hause, so bewahre nun das Feuer in deinem eigenen!" Als der Wagen vor des Bräutigams Hause angelangt war, flüchtete der Fuhrmann, in der prußischen Sprache Kellewese genannt, behende in das Haus und ergriff einen Stuhl, der mit einem blaudurchwirkten Leinentuche geschmückt war. Gelang ihm der schnelle Sprung, so war das Tuch sein Lohn, mißglückte er ihm, so schlugen die Gäste, so viel ihrer waren, auf ihn los.
Dann wurde die Braut mit Ehren im Hause empfangen. Der Kellewese überreichte ihr den eroberten Stuhl. Sie trank nun zum zweiten Male. An den Feuerherd geführt, wusch man ihr die Füße und besprengte mit dem Wasser Gäste, Brautbett, Vieh und alles Hausgerät. Hierauf benetzte man ihr den Mund mit Honig und führte sie mit verbundenen Augen an jede Tür des Hauses. Auf den Zuruf des Brautführers: „Stoß an!" stieß sie mit dem Fuße an die Türe, und diese Öffnete sich. Dann bestreute man sie mit Getreide jeglicher Art und rief ihr entgegen: „Halte fest an dem Glauben unserer Götter, so werden sie dir alles geben!"
Nun folgte .ein heiteres Mahl mit Lust und Tanz bis spät in den Abend hinein. Eine Freundin schnitt indessen der Braut das jungfräuliche Haar ab und setzte ihr einen Kranz auf den Kopf, der mit weißem Tuche umnäht war. Diesen Kranz mußte die junge Frau als Schmuck bis zur Geburt des ersten Sohnes tragen.
Zum Brautbette wurde das junge Paar mit Schlägen getrieben. Zuvor aber brachte man ihm einen gebratenen Hahn, den Brauthahn genannt, nebst Bocks-und Bärennieren, da man diesen Speisen eine die Fruchtbarkeit erhöhende Wirkung beilegte.
Der andere Morgen war für die Frau der erste Tag eines streng untergebenen Lebens.


Altpreußische Hochzeitssitten
Diese so interessante Hochzeitsschilderung bei unseren altpreußischen Vorfahren von Gustav Tolkmitt aus Pr. Eylau ist nicht etwa als eine etwas phantastische Erzählung zu werten, sondern entspricht durchaus den Tatsachen. Der Pfarrer Mathias Waisset aus Bartenstein berichtet darüber in seiner „Chronica Alter Preusscher, Lifflendischer und Curlendischer Historien" vom Jahre 1599 — zu einer Zeit also, als die prußische Sprache sowie prußische Sitten und Gebräuche in der Heimat noch in guter Erinnerung waren — folgendes darüber: „Wenn einer eines Mannes Tochter begeret, so gibt Er sie jm nicht vergebens, sondern er muß dem Vater eine marck oder zehen geben und danach als Er reich ist, darnach muß er viel geben. Und so er nicht Gelt gibt, so gibt er Viehe oder Getreide, denn der Vater wil sein Kind keinem frembden umb sonst geben, und so er sich mit dem Vater umb die Braut vertretet und sie jres dinges einst wer den, so muß Er der Braut einen Bortenmantel keuffen. Und wenn die Magd versagt ist, so bittet sie jre Freunde zu sich zu gaste, es sey Fraw oder Jungfraw, und auch von den Mennern. Und wenn sie gegessen haben, so bittet sie jre Freundschafft, das sie jr helffen beklagen jre Jungfrawschafft. So hebet die Braut an zu heulen und zu schreien: O hue, o hue ho. Wer wird, wer wird nu meinem Väterlein und meinem Mütterlein jr Bettlein machen? Und wer wird jnen jre Füßlein waschen? Und wer wird jnen jr Fewerlein mit Holtz versorgen? O mein liebes Ketzelein, Hündelein, Hünlein, Genselein, Schweinlein, Pferdelein, Küelein, Kelberlein, Schäffelein. Wer wird euch Futter geben und wer wird euch gutes thuen? Und wenn das alles geschehen, was im Hause zu beklagen ist, so nemen denn jre Freunde und führen sie zu dem Fewerlein, so heulet sie wider:

O hue, o hue, o hue: Moy myly schwenti Ponike. Mein liebes heiliges Fewerlein:
Wer wird das treuge Höltzlein meinem Vater und Mutter daher tragen, das sie
sich dabey wermen, und wer wird dich verwaren? Und wenn die Freunde solches
sehen, entfangen sie die Braut, heulen und weinen zugleich mit jr und trösten
sie, das sie sich nicht zu sehr mühen sdlle, auff das jr nicht etwas widerfahre,
das sie jrem Manne untüchtig werde ..." Horst Schulz

Aus "Pr.Eylauer Kreisblatt", hrg. v.d. Kreisgemeinschaft Pr.Eylau; Seiten 193-195
Gustav Tolkmitt schrieb seinen Artikel vermutlich während des Krieges (1939-1945).
Dank an den Sohn dieses Autors für diese Einsendung zu "Patulne und Tyrune", Anm. 97,

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2 September, 2007

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